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Rebellin unter Feen

Titel: Rebellin unter Feen
Autoren: R. J. Anderson
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Gestalt auf dem Bett. »Man rührt sich nicht mehr und reagiert auf nichts mehr. Man hört und sieht nichts mehr, man empfindet und fühlt nichts mehr. Schließlich … verschwindet man.«
    Bryony schluckte. »Ich habe immer geglaubt … wir würden nicht krank.«
    »Ich auch«, antwortete Dorna. »Bis das hier anfing. Hast du dich nie gewundert, warum wir nur so wenige sind? Wahrscheinlich nicht. Du hast die Eiche nie anders als halb leer kennengelernt. Aber als ich so alt war wie du, lebten hier doppelt so viele Feen – obwohl die Lage damals schon so angespannt war, dass die Königin niemanden mehr nach draußen ließ.«
    Bryony schwirrte der Kopf. Sie schloss die Augen und verdrängte das Bild von Ampfers ausgemergeltem Leib. »Sind die Feen alle auf diese Weise – gestorben?«
    »Bei der großen Gärtnerin, nein«, erwiderte Dorna. »Aber auch einige wenige sind schon zu viele. Schon die ständige Angst, die Feen könnten draußen einen Blödsinn anstellen, der sie das Leben kostet, war schlimm genug. Oft gingen ihre Eier dabei kaputt oder Krähen fraßen sie, bevor wir sie finden konnten. Aber wenn das Schweigen eine Fee dahinrafft, ist das noch schlimmer, denn dann gibt es überhaupt kein Ei.«
    Bryony wurde übel. »Ich hatte … also davon wusste ich nichts …«
    »Natürlich nicht«, sagte Dorna unbewegt. »Winka wollte nicht, dass du Albträume bekommst. Ich war immer der Ansicht, dass sie ein zu weiches Herz hat.«
    »Aber …« Bryony hatte immer noch nicht alles verstanden. »Woher kommt das Schweigen?«
    Dorna nickte. »Das ist die Frage. Niemand weiß es, nicht einmal die Königin. Aber ich habe das Schweigen jetzt einige Male erlebt, und weiß du, was ich glaube?« Sie winkte Bryony näher, beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte ihr zischelnd ins Ohr: »Schuld daran sind die Menschen.«
    Bryony wich erschrocken zurück.
    »Jetzt hörst du mir auf einmal zu, nicht wahr?«, sagte Dorna. »Überleg doch. Das große Haus wurde vor gut hundert Jahren erbaut … kurz danach trat das Schweigen zum ersten Mal auf. Glaubst du vielleicht, das ist Zufall?«
    Sie hatte recht, dachte Bryony und sah entsetzt auf ihre Hände hinunter. Sie hätte dem Menschenkind, dem Jungen, fast die Hand gegeben. Was wäre passiert, wenn sie ihn berührt hätte?
    »Nur noch sechsundvierzig Feen sind übrig«, fuhr Dorna fort. »Wenn wir überleben wollen, dürfen wir die Eiche nicht verlassen. Schließlich wohnen die Menschen direkt vor unserer Tür. Wenn du also nicht so enden willst wie Ampfer …«
    Bryony ertrug es nicht länger, ihr zuzuhören. Hastig drehte sie sich um, stolperte auf dem Teppich, fing sich wieder und rannte aus dem Zimmer, so schnell ihre Beine sie trugen. Sie eilte die Wendeltreppe hinauf und versuchte dabei, an ihre Spielsachen zu denken, ihre Bücher, Winkas Spiegel, alles, nur nicht die schreckliche Gestalt auf dem Bett.
    Atemlos stürzte sie durch die Tür zu Winkas Zimmer und stießmit einer hoch gewachsenen Gestalt zusammen. Sie taumelte zurück, hob den Kopf, blickte in das gestrenge Gesicht und die ernsten, grauen Augen Baldrianas – und brach in Tränen aus.
    Hasenglöckchen schnalzte vorwurfsvoll mit der Zunge, und Baldriana strich ihr über die Haare. Hinter ihr sagte Dornas Stimme: »Um das Kind braucht ihr euch keine Sorgen mehr zu machen. Es wird jetzt brav sein.«

 
    ZWEI
     
    Bryony richtete sich auf und fuhr sich mit dem Unterarm über die Stirn. Den ganzen Morgen schrubbte sie schon den Boden des Speisesaals. Jeden einzelnen Stein hatte sie poliert, bis er glänzte, aber sie war noch lange nicht fertig. Malve hatte Bryony wie immer die anstrengendste Hausarbeit gegeben, die sie finden konnte.
    Doch das Fenster hinter ihr stand offen und von draußen drangen das leise Rauschen des Regens und der Duft des nassen Grases und frisch umgegrabener Erde herein. Bryony atmete ihn bei der Arbeit tief ein. Fast sieben Jahre waren vergangen, seit sie aus der Eiche geklettert und dem Menschenjungen begegnet war, aber sie hatte den bittersüßen Geschmack der Freiheit nie vergessen. Zwar hielt die Angst vor der Schweigekrankheit sie von einer Wiederholung des Abenteuers ab, aber sie musste oft daran denken.
    Alles hatte sich von jenem Tag an geändert, meist zum Schlimmeren: Man hatte sie Winka weggenommen und zu Baldriana gegeben, und dort waren ihre Tage mit Arbeit und Lernen gefüllt, und ihr blieb keine freie Zeit. Sie hatte Lesen und Schreiben gelernt. Da sie ihre verschiedenen Pflichten
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