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Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Rebellin der Nacht: Roman (German Edition)
Autoren: Lydia Joyce
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eine Schärfe geschlichen, hart, zynisch und spöttisch. Byron erkannte schlagartig, dass dies der Tonfall einer Frau war, die zu viel wusste, zu viel gesehen hatte und schon vor Jahren ihrer Illusionen beraubt worden war. Sie war keine verbitterte, vertrocknete alte Jungfer. Auch keine übersättigte Intellektuelle. Sie war eine Beobachterin, die ihr Leben lang im Schatten gesessen hatte, so wie er jetzt im Schatten saß, unbehelligt, wachsam, richtend. Fällte sie gerade ihr Urteil über ihn? Die Vorstellung war vage beunruhigend.
    Sie fuhr mit einem winzigen Schnauben fort: »Ein Bruder müsste sich um seine Schwester sorgen – ihre Probleme, ihren Ruf, ihr Wohlbefinden. Er müsste bestürzt darüber sein, wie Sie mich behandeln. Er ist es nicht. Und was den Rest angeht? Jack wird sich nach Paris, Neapel oder Vevey flüchten, sobald er meinen Vater zum Einlenken überredet hat, und wird dort in ausschweifender Armut leben, bis er erbt. Da er sich nicht um seinen Ruf schert, werden ihm vorübergehend nur jene Unannehmlichkeiten zusetzen, die die Armut mit sich bringt.«
    Die Worte, die da aus ihrem Mund drangen, schienen einer Farce zu entstammen. Taub für Beleidigungen, unempfindlich gegen verletzten Stolz, blind für Degradierung... Konnte es einen solchen Mann geben? Gifford hatte auf dieser Welt alles, was Byron sich je gewünscht hatte. Anstatt in einem schwarzen Umhang am Rande der aristokratischen Welt umherzuschleichen, durfte Gifford im Glanze der Gesellschaft baden. Gifford lächelte in der Gewissheit, akzeptiert zu werden, ja sogar bewundert, während Raeburns Exzentrik nur seines Titels wegen toleriert wurde. Und wenn Raeburn drohte, ihm all das wegzunehmen, dann verkündete Giffords eigene Schwester kühl, es werde ihn nicht stören? Byrons eigener verletzter Stolz stach ihn so sehr, dass er den Schmerz förmlich schmecken konnte.
    Aber Byron spürte durch Mark und Bein, dass sie die Wahrheit sprach. Der einzige Trost – ein kleiner nur – war, dass Gifford, falls der Racheakt fehlschlug, eine gute Investition darstellte, genau wie das halbe Dutzend anderer junger Dandys, deren Schuldscheine sein Mittelsmann zu Schleuderpreisen aufgekauft hatte. Aber Byron konnte nicht hinnehmen, dass er möglicherweise gescheitert war – noch nicht. Diese Rache war vielleicht nie mehr als ein Wunschtraum gewesen, aber wenn, dann war es ein süßer.
    »Warum sind Sie dann hier?«, wollte er wissen und widerstand dem Drang, ihr das selbstgefällige Lächeln aus dem Gesicht zu schütteln. »Vergöttern Sie Ihren Bruder sosehr, dass Sie einen Namen reinwaschen wollen, den er gar nicht zu schätzen weiß?«
    »Vergöttern? Wohl kaum. Er hat mir Kröten ins Bett gesteckt, als wir beide noch Kinder waren.«
    »Warum dann?«, wiederholte er, aufrichtig verblüfft.
    Sie antwortete nicht auf die Frage, ihr Gesichtsausdruck war so reglos, als hätte er nichts gesagt. Sie war eine Fremde, aber er tastete sich vorsichtig nach einer Antwort vor, als hätte er sie sein Leben lang gekannt.
    »Weil Sie selbst es sind, die die gesellschaftliche Ächtung fürchten«, sagte er langsam. »Sie sind nicht Giffords wegen hier, sondern Ihrer selbst wegen.«
    Sie runzelte die Augenbrauen, und er sah, dass er einen Treffer erzielt hatte. »Ich tue es meiner Familie wegen.«
    »Natürlich. Wie selbstlos, den Ruf Ihrer Familie zu retten – und Ihren eigenen gleich mit.«
    »Was wissen Sie schon von meinen Beweggründen?« Ihre Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen, und ihr Tonfall nahm eine bedrohliche Härte an.
    Byron entspannte sich, je mehr sie die Beherrschung verlor. Er reimte sich eine Geschichte zusammen, beobachtete ihre Reaktion und brachte sie in Form. »Und was wissen Sie von mir? Gifford und ich waren einmal Freunde. Er hat mir von Ihnen erzählt und sich gebrüstet, dass Sie alles für ihn tun würden. Ich habe insgeheim Sie für die Klügere von Ihnen beiden gehalten, all diese unauffällige Kraft, mit der Sie die ganze Familie im Griff haben. Jetzt sehe ich, dass meine Einschätzung nicht verkehrt war. Wie Gifford es gesagt hat, Sie würden alles für ihn tun – falls es auch Ihre eigene Haut rettet oder Ihren Interessen dient.« Er zielte mit seinen Worten wie mit einer Waffe. »Sie sind selbstsüchtig, meine liebe Lady Victoria, und das wissen wir beide.«
    Lady Victorias Gesicht war mit jedem seiner Worte bleicher geworden, und als er geendet hatte, war sie weiß wie Papier und zitterte vor Wut. Sie sprang auf und
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