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Rebellen: Roman (German Edition)

Rebellen: Roman (German Edition)

Titel: Rebellen: Roman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Schorlau
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aufs Klo, schraubte die Waffe auseinander, ölte sie, zeichnete sogar die Einzelteile ab, setzte sie wieder zusammen, zerlegte sie, baute sie erneut zusammen, bis er verstand, wie sie funktionierte.
    Werkunterricht war das einzige Fach, in dem er wirklich gut war. Er formte Vasen aus Ton, und der alte Werklehrer Schimmel zeigte ihm, wie man die aufeinandergeschichteten Tonwülste richtig miteinander verband. Nicht so, nicht die Wülste mit den Fingern zusammenpressen, dann wird deine Vase nach oben immer dünner. Nimm etwas Ton vom oberen Ring und drücke ihn in die Naht. Erst in der Innenseite, dann außen. Genau so. Dem Lehrer gefiel das Interesse des Heimkindes an seinem Unterricht.
    Paul fragte den Lehrer, wie eine Bohrmaschine funktionierte, Schimmel zeigte ihm, was er wusste – Holzbohrer, Metallbohrer, Schaft, Kopf, Drehmoment, Kühlschmiermittel. Als Paul wusste, wie es ging, stahl er sich in der großen Pause in den Werkraum, spannte das Rohr des Revolvers ins Backenfutter und bohrte den Lauf der Waffe auf. Nach der Schule rannte er den Schlossberg hinauf, lief, bis er keinenMenschen mehr sah, dann schoss er eine Platzpatrone ab und sah zufrieden, wie eine halbmeterlange Feuergarbe aus der Mündung fauchte.
    Noch am gleichen Abend versteckte er die Waffe in einer Schuhkiste und vergrub sie auf der Heimwiese unter den Streuobstbäumen. Als handele es sich um die Schatzinsel, zeichnete er sich einen genauen Plan. Vom alten Apfelbaum fünf Schritte parallel zur Straße und dann noch einmal fünf Schritte nach links.
    Das war sein Versteck.

8. Alexander
    Alexanders Großeltern hatten das Haus in der Schubertstraße gebaut, parallel zur Haydnstraße und damit auch zum Waisenhaus. Die größte Straße des Viertels war, man konnte es sich denken, die Richard-Wagner-Straße.
    Trotzdem, so dachte Alexander oft, haben all diese berühmten Komponistennamen weder auf mich noch auf Maximilian abgefärbt. Es war der Wunsch des Vaters gewesen, dass er mit sieben Jahren Klavierunterricht bekam, aber er hasste es von der ersten Stunde an und scheiterte bei der einfachsten Clementi-Sonate. Das Instrument war erbarmungslos und schenkte ihm nichts. Hinter jedem erlernten Akkord lag eine Schlacht, in der er den Tasten mühsam geringe Fortschritte abtrotzen musste.
    Manchmal erschien der Vater beim Unterricht und hörte seinem Geklimper zu. Die rechte Hand sollte vom C zum F wechseln, und wieder griff er daneben. Der Vater schüttelte dann ganz leicht, so als sollte Alexander es nicht merken, den Kopf.
    In der nächsten Woche weigerte sich der Bub, weiterzuspielen. Er saß mit verschränkten Armen vor dem Klavier der Mutter, sprach nicht und rührte sich nicht. Der Klavierlehrer, ein hektischer, großer, dünner Mann mit langen Armen, der sonntags hin und wieder in der Urbanskirche an der Orgel aushalf, ertrug die mangelnde Begabung leicht, verzweifelte aber an seiner Verstocktheit. Er rief die Mutter herein, die nachgab und ihm den Unterricht erließ.
    Jeden Mittag außer montags, wenn er in seinem Klub aß, bog der Vater pünktlich um eins mit seinem schwarzen Mercedes in die Garageneinfahrt vor dem Haus. Maximilian rannte dann aus der Tür, nahm ihm die braune Aktentasche ab und trug sie stolz wie eine Eroberung ins Haus. Ebenso pünktlich servierte Frau Ebersbach, die im Haushalt arbeitete, seit Alexander denken konnte, das Essen.
    Um den großen Tisch im Wohnzimmer saß jeder an seinem Platz: die Mutter am Kopfende, das Panoramafenster im Rücken, rechts neben ihr der Vater und daneben der Besuch, den er hin und wieder mitbrachte, meist Herrn Rieger, den Prokuristen der Firma. Neben dem Gast, der Mutter gegenüber, saß Maximilian, Frau Ebersbach an der Seite, immer bereit aufzuspringen und in die Küche zu laufen, wenn etwas fehlte. Dann Alexander.
    Nach dem Essen trank die Mutter jeden Tag ein Glas Möselchen. Sie mochte keinen sauren Wein, und daher stellte Frau Ebersbach, wenn sie den Tisch deckte, immer eine kleine silberne Zuckerdose neben ihr Glas mit einem winzigen, handgefertigten silbernen Löffel darin. Damit füllte die Mutter einen Löffel Zucker in den Wein und rührte um, bis er sich auflöste.
    Das Mittagessen war die Zeit der Ermahnungen: Alexander, nicht an der Stuhllehne ausruhen! Sitz aufrecht! Nimm die Unterarme vom Tisch! Wirf die Serviette nicht auf den Boden! Sei still! Kinder reden nur, wenn sie gefragt werden!
    Sie wurden selten gefragt. Manchmal wollte der Vater etwas über Schule und Noten
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