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Rebellen: Roman (German Edition)

Rebellen: Roman (German Edition)

Titel: Rebellen: Roman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Schorlau
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schwacher Mann gewesen war. Er hatte unmittelbar vor dem Krieg eine Lehre im Büro der Maschinenfabrik Weinmann & Co. begonnen. Technischer Zeichner und Konstrukteur wollte er werden. Doch bei dem verheerenden Angriff der Briten auf Freiburg am 27. November 1944 wurde die Fabrik gänzlich zerstört. Sie brachen auch den Lebenswillen von Wilhelm Weinmann, Alexanders Großvater, dem das Unternehmen gehörte.
    Es waren die Arbeiter und die vielen ungelernten Frauen, die die Reste der Maschinen, der Rohmaterialien und Halbzeuge retteten. Sie brachten sie in einen Schuppen nach St. Georgen, der der Familie eines Vorarbeiters gehörte. Doch wie produzieren, wenn alle Konstruktionspläne verbrannt waren? Fünf Konstrukteure waren gefallen, die anderen befanden sich noch in russischer oder amerikanischer Gefangenschaft. Die Rekonstruktion der überlebenswichtigen Pläne aus der Erinnerung der Arbeiter und der allmählich zurückkehrenden Kollegen war das eigentliche Meisterwerk seines Vaters. Er rettete die Firma nicht durch eine unternehmerische, sondern durch eine archivarische Glanzleistung.
    Als die ersten Blechschneidemaschinen ausgeliefert werden konnten, heiratete Wilhelm Helmholtz Katharina Weinmann, das einzige Kind des Firmeninhabers. Bald kam Maximilian auf die Welt, 1950 dann er, Alexander.

    Wer war sein Vater? Die Belange der Firma, der Neubau in den fünfziger Jahren, der Aufstieg in den Sechzigern, die Krise 1967 – all diese Themen, die den Vater beschäftigt haben mussten, blieben den Kindern verborgen. Was mag den Vater wirklich bewegt haben in diesen Jahren? Gab es eine Affäre? Diskrete Rendezvous in abgelegenen Hotels am Kaiserstuhl? Eine Liebschaft mit einer Angestellten? All das passte nicht zu ihm. Er war nicht der Typ dazu, oder seine Frau überwachte ihn so sehr, dass ihm der Freiraum nicht blieb, eine geheime Leidenschaft anzuzetteln. Als Kind denkt man nicht auf diese Art und Weise über seine Eltern nach, selbst als Jugendlicher stellt man sich den Vater und erst recht nicht die Mutter als sexuelles Wesen vor, erst im Erwachsenenalter sucht man Spuren, billige Hefte vielleicht, Hotelabrechnungen, Briefe, aber all das fand Alexander bei seinem Vater nicht, auch nicht im Nachlass, als es so weit war.
    Der einzige unerhörte Ausbruch, an den er sich erinnerte, war die Tracht Prügel, die Maximilian bezog, als er sich beim Rauchen in der Waschküche erwischen ließ. Vielleicht brannte sich dieser außerordentliche Vorfall deshalb so tief in das Gedächtnis der beiden Brüder, weil er sich nie wiederholte und weil er so untypisch war für ihren Vater, der lieber jedem familiären Konflikt aus dem Weg ging, der seiner Frau in vielem zustimmte, auch wenn er anderer Meinung war: Sicher, Schatz, und Ja, Schatz, oder einfach wortlos aufstand, um ihr eine Flasche Möselchen aus dem Keller zu holen oder ihre warme Strickjacke aus dem Schlafzimmer. Er leitete das Unternehmen, aber in der Familie war er nicht der Chef.
    War er glücklich? Erst nach Vaters Tod dachte Alexander darüber nach, und er erschrak, dass er sich den Vater als glücklichen Menschen nicht vorstellen konnte, als ausgeglichenen Mann, das ja, aber als glücklichen? Hat er es je bereut, die Tochter des Chefs geheiratet zu haben?

    Man bemerkte den Vater am meisten, wenn er nicht da war. Montags traf er sich mit den Rotariern, und der Montag war auch Frau Ebersbachs freier Tag. Montags regierte die Mutter allein, und leider kochte sie an diesem Tag.
    Gegessen wird, was auf den Tisch kommt.
    Sie war eine lausige Köchin.
    Wer den Teller nicht leer isst, bekommt keinen Nachtisch.
    Sitz aufrecht. Sei nicht zu laut.
    Alexander kam sich vor wie einer der Rosenbüsche aus dem Garten, deren Triebe sie unentwegt beschnitt.
    Euch geht es doch viel zu gut.
    Sie hatte einen weichen Mann geheiratet. Neben ihrem schwachen Mann entwickelten sich ihre unnachgiebigen Seiten ungestört. Sie kam selten in die Fabrik, auch wenn sie keine Weihnachtsfeier ausließ und die älteren Mitarbeiter mit Handschlag begrüßte. Die Fabrik war das Terrain ihres Mannes, aber die Kontoauszüge, die der Briefträger täglich brachte, studierte sie sorgfältig. Sie saß dann aufrecht an dem Sekretär, die Brille weit vorne auf der Nase, rauchte und hantierte mit Lineal und Bleistift, verglich Zahlenkolonnen in unterschiedlichen Journalen und durfte nicht gestört werden. Oft gab es von ihrer Seite harsche Worte für den Vater, immer wieder hörte er das schlimme Wort:
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