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Rebellen: Roman (German Edition)

Rebellen: Roman (German Edition)

Titel: Rebellen: Roman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Werkzeugmaschinen zu Ende, und dass ein Freiburger Unternehmen die Konkurrenz aus dem Schwäbischen schluckte, war nun wirklich berichtenswert, denn meist, so die Erfahrung der letzten Jahrzehnte, lief es umgekehrt. Umso mehr wurde es ihm, dem Unternehmer Alexander Helmholtz, angerechnet, dass er sich zum Mittagessen im Hotel Colombi einfand, wo sich, wie jeden Montag, sein rotarischer Klub zum Essen traf. Dass ein so bedeutend gewordener Mann Mitglied blieb und sogar seiner Präsenzpflicht nachkam, jedenfalls weitgehend, denn bei den umfassenden Geschäften der Helmholtz-Gruppe musste man an diesem schwierigen Punkt eine gewisse Großzügigkeit walten lassen, wurde im Klub mit Anerkennung und Respekt kommentiert, obwohl Dr. Esser, der in diesem Jahr präsidierte, vermutete, dass sich Helmholtz irgendwann doch einmal zurückziehen würde, um dann Gruppen und Zirkeln anzugehören, deren Mitglied zu sein den normalen Rotariern, also leider auch ihm, versagt bleiben würde.
    Umso mehr ärgerte er sich, dass an diesem Tag drei ältere Mitglieder, zwei emeritierte Professoren und ein ehemaliger Forstpräsident, während des Vortrags einschliefen, der regelmäßig dem Essen voranging. Nun, sie schliefen jeden Montag und bei jedem Vortrag, aber dass sie auch an diesem Tag die Köpfe so schamlos nach vorn fallen ließen, nahm Esser ihnen richtiggehend übel. Immerhin: Helmholtz schien es nicht zu bemerken. Vielleicht war er zu sehr mit den eigenen Gedanken beschäftigt. Er saß wie immer an dem Tisch in der Mitte, den Kopf leicht zur Seite geneigt, und hörte aufmerksam zu.
    Erst später, nach dem Essen, als man ihnen in der Lobby bereits die Mäntel reichte, ergab sich die Gelegenheit, und Dr. Esser gelang es, seinem rotarischen Freund mit einigen wenigen Worten zu gratulieren.
    »Als einen unserer nächsten Klubpräsidenten haben wir Sie mit dem heutigen Tag wohl verloren?«
    Helmholtz lachte. Sorgfältig zog er die Handschuhe an den Fingern gerade. »Wer weiß. In Ihrer Nachfolge zu stehen wäre eine große Ehre. Aber vielleicht nicht gerade im nächsten Jahr.«
    »Abgemacht. Für den Klub wäre es eine Ehre.« Dr. Esser zögerte einen Moment: »Es gibt da noch eine Sache, zu der ich Sie gern gesprochen hätte. Sie betrifft, nun ja …«
    Er blieb stehen. Helmholtz sah auf seine Uhr.
    »Unsere Kanzlei hat ein Mandat angenommen, ein Mandat, das möglicherweise Ihre Interessen berührt.« Er räusperte sich. »Der Name Paul Becker sagt Ihnen vielleicht etwas?«
    Helmholtz hob den Kopf und sah Esser direkt in die Augen. Was immer in Helmholtz vorging, an seinen Augen konnte Esser es nicht ablesen. Zum ersten Mal bekam er eine Vorstellung davon, mit welch harten Bandagen dieser Mann kämpfen konnte.
    »Allerdings.« Helmholtz zögerte einen Augenblick: »Soweit ich weiß, ist Paul Becker vor einigen Jahren gestorben.«
    »Nun, wir vertreten seinen Sohn. Jonas Becker. Er hat gewisse Unterlagen seines Vaters gefunden, die er Ihnen gern zeigen würde.«
    »Unterlagen?«
    »Offenbar Notizen seines Vaters.«
    Der pensionierte Forstpräsident, nun lebhaft und wach, steuerte aus dem Nebenzimmer direkt auf sie zu.
    Helmholtz zog Esser mit einer schnellen Bewegung zur Seite, sodass der Forstpräsident a. D. verblüfft ins Leere lief. Der wohldosierte Druck auf Essers rechten Unterarm verlagerte sich, und er wurde unversehens zurück in den Speiseraum geschoben, der nun menschenleer war. Verwüstet sah es hier nun aus, zerknüllte, verschmutzte Servietten auf den Tischen und den Sitzflächen der achtlos nach hinten gerückten Stühle, Fleischreste und Pfützen übrig gelassener Soße auf den Tellern.
    »Jonas Becker will mit mir reden? Warum ruft er mich nicht an?«
    »Ein Termin in unserer Kanzlei wäre wohl angemessen.«
    Helmholtz überlegte: »Dann sollten wir den jungen Mann nicht allzu lange warten lassen.«
    »Sicher. Mein Büro wird sich mit Ihnen wegen eines Termins in Verbindung setzen.«
    Helmholtz griff erneut mit einer schnellen Bewegung Essers Arm. »Warum nicht sofort? Heute?«
    »Heute Nachmittag? In meiner Kanzlei?«
    »Ja. Passt Ihnen 17 Uhr?«
    Esser nickte, und Helmholtz ging.

    Gedächtnis und Erinnerung sind zwei völlig verschiedene Dinge. Das Gedächtnis, so hatte jedenfalls Alexander Helmholtz lang gedacht, ist ein gut geölter Apparat, der umstandslos alles in sich hineinstopfte, eine Maschine, die Informationen, Eindrücke und Erlebnisse in Nervenzellen und Synapsen speicherte, wie eine Verkehrskamera, die
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