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Rebellen: Roman (German Edition)

Rebellen: Roman (German Edition)

Titel: Rebellen: Roman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Schorlau
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wissen. Maximilian drehte dann prompt auf, als würde sich irgendjemand wirklich dafür interessieren. Wenn Alexander gefragt wurde, sagte er etwas vorher Ausgedachtes. Meistens redeten die Erwachsenen am Tisch über die Firma. Es ging um die Blechschneidemaschinen, die in der Firma des Vaters hergestellt wurden. Wieder einmal hatte die Firma Ditzinger dem Vater einen Auftrag weggeschnappt. Herr Rieger mochte diese Firma gar nicht. Er schüttelte den Kopf hin und her und sagte, es ginge uns gut, wenn es nur die Firma Ditzinger nicht gäbe, die alles kaputt mache mit ihren Preisen. Der Vater redete auch gerne über die Kulturlosigkeit der Amerikaner, schimpfte über die Negermusik und die abstrakte Malerei, die die deutsche Kultur zerstörten.
    Alexander langweilte sich und versank beim Mittagessen jedes Mal in innere Welten.
    In der Schule las er unter der Schulbank die Bildergeschichten von Akim, dem Helden des Dschungels, Tarzanhefte und Ritterstorys von Sigurd. Er schwang sich von Liane zu Liane an der Seite von Akim, dessen Bildabenteuer in der Schule getauscht wurden und die er zu Hause verstecken musste. Er stellte sich vor, Akim sei sein bester Freund. Manchmal wollte er auch gerne Bodo sein, der Kumpel von Ritter Sigurd von Eckbertstein.
    Das Träumen machte das Stillsitzen erträglich und Maximilians Wichtigtuerei auch. Wenn ihm der Stoff zum Träumen fehlte, versuchte er unter dem Tisch seinen älteren Bruder zu treten, aber es gelang ihm nur, wenn er weit auf dem Stuhl nach vorne rutschte, und das »Alexander, setz dich richtig hin!« der Mutter erfolgte meist, bevor er richtig ausholen konnte.
    Das einzig Gute am Mittagessen war, dass die Mutter nicht rauchte. Nur während der Mahlzeiten sonderte sie nicht die kleine Rauchsäule ab, die morgens, tagsüber und am Abend neben ihr aufstieg. Lord Extra. Drei oder vier Schachteln pro Tag. Sie stank. Ihre Blusen und Kleider stanken nach Rauch, ihre Haare stanken nach Rauch, ihre Haut roch, und vor ihren Gutenachtküssen ekelte sich Alexander. Manchmal war er zu langsam, und es gelang ihm nicht, das Gesichtzur Seite zu drehen, dann hielt er die Luft an, bis es vorbei war. Die Mutter liebte ihren jüngsten Sohn, und dass er sich abwandte, wenn sie ihn küsste oder streichelte, war ihr schlimm. Sie begriff nicht, dass es an den Lord Extra lag. Sie dachte, ausgerechnet ihr Lieblingssohn wende sich von ihr ab, und verdoppelte ihre Anstrengungen wie eine abgelegte Geliebte. Ständig versuchte sie, den jüngsten Sohn in die Arme nehmen, seinen Kopf an die Brust zu drücken und ihn zu küssen. Alexander war wachsam, durchschaute ihre Absichten früh und ging ihr aus dem Weg.
    Manchmal schnitt der ältere Bruder beim Essen Grimassen, um Alexander zum Lachen zu bringen, oder er machte Bewegungen des Vaters, das Kreisen der Hand mit dem Cognacschwenker, manchmal aber auch das Zuckern von Mutters Wein nach. Alexander versuchte das Lachen zu unterdrücken, sah nicht mehr zu seinem Bruder hin, aber oft genug prustete er einfach los. Dann wurde er ohne Essen vom Tisch verbannt. Sicher, Frau Ebersbach schmierte ihm danach heimlich ein oder zwei Käsebrote, aber unter den Augen des Bruders oder Herrn Riegers den Tisch verlassen zu müssen, war seine früheste Demütigung. Er hasste Maximilian, der ihm dies mit seinen Faxen eingebrockt hatte, und es war wie ein zusätzliches Geburtstagsfest, als er endlich sein eigenes Zimmer bekam.
    Trotz gelegentlicher Kumpaneien blieb ihm sein älterer Bruder fremd. Wie konnte Maximilian den Vater wirklich lieben, wenn er dessen Schwächen mit diesen unbarmherzigen Gesten bloßlegte? Den festen Griff an den Hals der Flasche Hennessy, später das leichte Zittern der Hand, wenn er den Schwenker gegen das Licht des Kronleuchters hob und die braune Flüssigkeit im Kreise drehen ließ, seinen leicht vornübergebeugten Gang, seinen verwirrten Blick, wenn er eine der laut vorgetragenen Anschuldigungen der Mutter nicht verstand. Konnte man den Vater wirklich lieben, fragte sichAlexander, wenn man, wie Maximilian das oft tat, Vaters Lieblingszitate von Schiller verstümmelte? Seinen ausladenden Schritt nachahmte? Oder: Mochte man den Vater lieb haben, wenn man sich immer neben ihn stellte und den Bruder mit einem Schulterstoß wegschubste?
    Manchmal kam es ihm vor, als richteten sich all diese demonstrativen Zuneigungserklärungen an den Vater in Wirklichkeit nur gegen ihn.
    Erst später, sehr viel später, wurde Alexander klar, dass sein Vater ein
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