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Raven (Shadow Force) (German Edition)

Raven (Shadow Force) (German Edition)

Titel: Raven (Shadow Force) (German Edition)
Autoren: Andrea Mertz
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denen sie ihre langen Beine geschickt betonen konnte. Die Schuhe waren wunderschön und hatten sie ein kleines Vermögen gekostet. Das bedeutete allerdings auch, dass sie in den nächsten Monaten den Gürtel würde deutlich enger schnallen müssen. Oder eine stattliche Gehaltserhöhung verlangen. Aber eine höhere Entlohnung zu bekommen , war so wahrscheinlich wie ein heftiger Schneefall im Sommer. Nach vielen Stunden auf mittlerweile schmerzenden Füßen wünschte sie sich allerdings, bequemere Schuhe gewählt und nicht ihrer dummen weiblichen Eitelkeit sowie ihrem ausgeprägten Schuhtick nachgegeben zu haben. Seit annähernd drei Monaten war sie zum ersten Mal wieder mit einer Außenreportage für den Guardian betraut. Mit Glück sowie dank guter Kontakte ihres Chefs Dexter Slatt war es ihr gelungen, neben der üblichen Presseerklärung der Regierung einen der begehrten Interview termine bei William Hague persönlich zu ergattern. Stolz über diesen Erfolg mischte sich mit Nervosität, denn seit Franks angeblichem Tod vor über zweieinhalb Monaten hatte sie an Elan und ihrer üblichen Selbstsicherheit verloren. Ihr großer Bruder fehlte ihr unendlich und es schien, als wäre ein Teil von ihr mit ihm verloren gegangen. Schlimmer noch, sie halluzinierte. Manchmal bildete sie sich ein, ihn leibhaftig zu sehen. Zuletzt sogar hier in London. Erst vorhin hatte sie gemeint, ihn in der Menschenmenge vor der City Hall gesehen zu haben. Doch als sie nachgesehen hatte, mit klopfendem Herzen und laut seinen Namen rufend, hatten ihr lediglich irritierte Passanten entgegengestarrt. Keine Spur von Frank. Ein peinlicher Moment. Vielleicht stand sie kurz davor, den Verstand zu verlieren. Die Leute hatten sie jedenfalls so angesehen. In ihrem Leben wollte nichts mehr zusammen passen. Selbst ihr kleiner, uralter aber ansonsten zuverlässiger Wagen hatte ihr an diesem Morgen den Dienst verweigert. Wenn sie nicht höllisch aufpasste, landete sie irgendwann tatsächlich in der Klapse. Lianne verscheuchte mit einem Seufzer die sehnsuchtsvollen Gedanken an Frank und versuchte, sich auf ihre Fragen zu konzentrieren, die sie Großbritanniens Außenminister stellen wollte. Sie hatte nur wenige Minuten Zeit und wollte ihre Chance nutzen, den konservativen Politiker zur gerade beendeten Konferenz von rund vierzig Staaten in London und über die Zukunft Libyens zu befragen. Dazu hatte seine Sekretärin sie in die City Hall eingeladen, dem Londoner Rathaus, in dem der Minister heute noch einen weiteren Termin wahrnehmen würde. Die City Hall lag am Südufer der Themse im Stadtteil Southwark, zwischen der Tower Bridge und dem Bahnhof London Bridge. Das von Norman Foster entworfene Gebäude war 45 Meter hoch und war im Juli 2002 eröffnet worden. Seine ungewöhnliche knollenartige Form erinnerte Lianne allerdings eher an den Helm von Darth Vader aus Star Wars als an ein stilechtes Rathaus. Mit dieser Meinung stand sie nicht allein.
    Viele Minuten vergingen und Liannes Finger trommelten auf dem Tisch. Seltsam, wie ruhig es in einem Gebäude sein konnte, das rege frequentiert war. Wahrscheinlich waren Räume und Türen besonders gut gedämmt. Endlich vernahm Lianne auf dem Flur Schritte, die sich näherten. Mit einem energischen Ruck wurde die Tür zu dem kleinen Konferenzraum geöffnet und Hague trat ein.
    „Lianne Morgan vom Guardian“, beeilte sich Lianne zu sagen. Sie stand auf und schüttelte seine Hand mit festem Druck. „Vielen Dank für Ihre Zeit, Herr Minister.“
    „Es freut mich, nehmen Sie doch wieder Platz.“
    Hagues Blick lastete forschend auf Lianne und sie setzte ein freundliches Lächeln auf. Er trug einen klassischen Anzug von John Crocket, dazu eine gestreifte Krawatte und machte leider keine Anstalten, einen kurzen und freundlichen Small Talk zum Einstieg zu forcieren. Dann eben nicht.
    „Ich nehme an, wir beginnen gleich?“ Lianne erwiderte seinen Blick möglichst gelassen. Energisch drückte sie das Rückgrat durch, obwohl ihre Hände bedenklich zitterten. Sie benahm sich wie ein Frischling, doch an diesem Tag war sie seltsamerweise besonders nervös. Es lag etwas in der Luft, das sie nicht genau definieren konnte. Zuerst hatte ihr Auto gestreikt. Den ersten Bus hatte sie verpasst und der zweite war übervoll gewesen. Randgefüllt mit schlecht gelaunten Menschen und ihren Ausdünstungen. Beim Aussteigen aus dem roten Doppeldecker hatte ein Jugendlicher versucht, ihr die Handtasche zu entreißen. Dem hatte sie Beine
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