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Raue See

Raue See

Titel: Raue See
Autoren: Ralph Westerhoff
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wir gegangen sind?«
    »Ich habe ihm gesagt, dass er den Beweis finden soll. Und dass er vor allem rauskriegen muss, wo um alles in der Welt er meine Wiebke gefangen hält. Peter hat nur genickt. Ein gutes Zeichen. Er hat immer nur genickt, wenn ich ihn um so was gebeten habe.«
    »Ist er ein guter Mann?«
    »Er war der, der uns schon damals den entscheidenden Hinweis gab, als Wiebke in der Hand dieses Psychopathen war. Erinnerst du dich?«
    »Leider«, meinte Günter. »Sie übt irgendwie eine magische Anziehungskraft auf Irre aus, oder?«
    »Spricht nicht gerade für dich.«
    »Wo fahren wir eigentlich hin?«, fragte Günter, die schnippische Bemerkung ignorierend.
    »Wir wissen nicht viel über Bergmüller«, erläuterte Randolph. »Aber wir wissen, dass sein Vater ein gewisser Dr.   Norbert Bergmüller, ein Chemiker im Ruhestand, ist. Früher hat er in der Nähe von Kiel außerdem einen Resthof bewirtschaftet. Als eine Art Hobbybauer. Seit einigen Jahren lebt er hier in der Gegend in einem Alten- und Pflegeheim. Dem statten wir jetzt einen Besuch ab. Vielleicht erfahren wir dort was.«
    »Was ist das für ›Werkzeug‹ dahinten?«, fragte Günter mit einem vorsichtigen Blick auf den Rücksitz.
    »Das willst du nicht wissen. Und ich bete zu Gott, dass wir es nicht benutzen müssen.«
    Günter schwieg, weil Randolphs Miene sehr deutlich machte, dass er nicht gewillt war, weitere Auskünfte zu erteilen.
    Nach etwa zwanzig Minuten Fahrt erreichten sie das Seniorenstift »St.   Georg«. Die automatische Tür zur Eingangshalle schloss sich hinter ihnen, und der typische Geruch des Alters stieg ihnen in die Nase. Nach abgestandenem Schweiß, Bohnerwachs und Desinfektionsmittel mit einem Hauch Urin in der Kopfnote.
    Nachdem sie erfahren hatten, dass Dr.   Bergmüller im Appartement 503 »residierte«, wie sich die Dame an der Rezeption ausdrückte, gingen sie zum Aufzug. Auf dem Weg dorthin schob ein junger Mann im sozialen Jahr, wie Randolph vermutete, einen etwa Achtzigjährigen im Rollstuhl vor ihnen her. Der junge Mann stoppte, um dem Alten den Sabber um den Mund abzuwischen. Der trug die typische Kleidung, die alten Menschen angezogen wird, die sich nicht mehr wehren können. Ein Ausbund an Geschmacklosigkeit in einem undefinierbaren Graubeigebraun. Randolph überlegte unwillkürlich, was dieser Mann wohl vor dreißig Jahren dazu gesagt hätte, wenn man ihn wie eine lebendige Leiche in geschmackloser Kleidung desinteressiert durch die Gegend geschoben hätte. Was würde er selbst sagen, wenn es so weit war? Hätte er noch die Kraft zu sagen: »Wissen Sie was, Sie können mich mal kreuzweise. Ich gehe jetzt. Das hält doch kein Mensch aus. Und verbrennen Sie sofort diese Klamotten«? Würde er das schaffen, in fünf, sechs, sieben Jahren? Denn viel älter als er war der Mann im Rollstuhl nicht.
    Was war er wohl mal von Beruf?, fragte sich Randolph. Hatte er vielleicht einst auf seine Breitling geblickt, dem Co zugenickt und mit einem befreienden »Here we go!« dem Jet die Sporen gegeben, um urlaubshungrige Touristen von München nach Palma zu fliegen? Oder war er Arzt oder Lehrer gewesen? Maurer oder Mechaniker?
    »So, jetzt schnappen wir ein bisschen frische Luft«, sagte der junge Mann. »Und dann gucken wir noch bei den Enten am Teich vorbei.« Er setzte sich wieder in Bewegung.
    Endlich öffnete sich der Aufzug. Sie gingen hinein, und wie ein Vorhang schlossen sich die Türen zu der Realtragödie, die sich ihnen da geboten hatte. Der Eisenring um Randolphs Brust lockerte sich ein wenig, und er atmete tief ein und aus.
    »Günter«, sagte Randolph leise.
    »Ja?«
    »Versprichst du mir was?«
    »Alles, was du willst.«
    »Wenn es bei mir so weit ist wie mit dem Alten da unten im Rolli, erschieß mich bitte.«
    Günter nickte nur betroffen, denn so, wie Randolph es gesagt hatte, klang es nicht nach Koketterie.
    Sie klopften an die Tür mit der Nummer 503. Kein Namensschild, keine Individualisierung. Wenn der Mensch hier starb, brauchten sie nur die Schränke ausräumen und das Bett frisch beziehen.
    Sie hörten Schritte, die Tür öffnete sich einen Spalt, und sie erahnten einen gebückten Mann dahinter.
    »Ja, bitte?«
    »Herr Dr.   Bergmüller? Wir würden uns gern mit Ihnen unterhalten«, sagte Randolph. »Es geht um Ihren Sohn.«
    Der Mann öffnete die Tür ganz, gab Randolph und Günter die Hand und bot ihnen einen Platz an.
    »Sind Sie von der Presse?«, fragte er.
    »Wie kommen Sie
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