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Raue See

Raue See

Titel: Raue See
Autoren: Ralph Westerhoff
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wusste. Im Gegenteil: Er hatte sie regelrecht angelogen und ihr die Geschichte von einem alten Studienkollegen, den er in Köln besuchen wollte, aufgetischt.
    Dass er polygam war, wusste sie. Und sie war bis zu der vermaledeiten Schwangerschaft auch kein Kostverächter gewesen. Sie hatten diese Lust auf fremde Haut bisher gemeinsam und nach dem Motto »Bekannt fremdgehen« ausgelebt. Sie waren als Gäste in einem Swingerklub oft auf der Suche nach dem Kick gewesen. Aber da ging es um Sex, nie um Gefühle.
    Mit Carolyn war das anders. Günter hatte sie in einem Strafverfahren kennengelernt. Er war der Staatsanwalt, sie die Verteidigerin gewesen. Am Ende des Verfahrens hatte sie ihn gefragt, ob er sie mit in die Gerichtskantine nehmen würde. Sie habe ohne behördliche Begleitung ja nicht das Recht dazu und wolle verhindern, dass er sie dann wegen Betruges anklagen müsse. Dann hatte sie ihn mit einem unnachahmlichen Blick angeschaut. Sie hatte glasklare blaue Augen und Wimpern, die auch ohne Tusche jedes Männerherz augenblicklich im Sturm erobern konnten. Es war Sympathie auf den ersten Blick.
    Sie hatten zusammen gegessen und geplaudert. Carolyn stammte aus Wismar und hatte nach dem Abitur in Rostock Jura studiert. Letztlich nur, weil ihr nichts Besseres eingefallen war. Doch da ihr Vater in Wismar einen gut gehenden Elektroinstallationsbetrieb hatte, sei ihr der erste Mandant ihrer eigenen Kanzlei ja praktisch schon in die Wiege gelegt worden. Am Ende des Gespräches hatten sie sich bereits geduzt und zum Abschied Visitenkarten ausgetauscht.
    Dann hatte sie etwas Verhängnisvolles gesagt: »Adde mich doch bei Facebook. Dann können wir in Kontakt bleiben.« Er hatte es getan, und seitdem war sein Leben nicht mehr dasselbe.
    Er konnte mit ihr plaudern, auch wenn sie sich nicht sahen. Sie hatten ein richtiges Vertrauensverhältnis aufgebaut. Er erzählte ihr, dass es in seiner Ehe kriselte, was sie nicht verwunderte, wie sie schrieb, und sie malten sich aus, wie es wohl wäre, wenn sie mal viel Zeit »in echt« miteinander verbringen würden. Ein paarmal war der Versuch im Ansatz stecken geblieben, doch jetzt war es so weit. Er fuhr nach Wismar und ließ, wie er sich selbst vorwarf, Frau und Kind zurück. Er wollte Wiebke nicht verlassen. Doch er brauchte eine Auszeit.
    Außerdem fühlte er sich abgewiesen, wenn sie seine fordernden Hände, die sie früher so geschätzt hatte, schroff beiseiteschob. »Jetzt nicht, Schatz«, sagte sie oft. Wann denn überhaupt?, dachte er dann immer. Er musste sich eingestehen, dass er Zweifel an seiner Attraktivität, seiner Männlichkeit bekam. Er sagte ihr jedoch nichts, denn tief in seinem Inneren wusste er, dass es nur wieder Krach geben würde. Dass sie ihm vielleicht sagen würde, er solle aufhören, nur »mit dem Ding da unten« zu denken. Dass es schon wieder werden würde und er aufhören solle, Druck zu machen. Und überhaupt.
    Es war nicht richtig, was er tat, und es war völlig falsch, wie er es tat. Er fing an, ein Doppelleben zu führen, denn dass es mit Carolyn bei diesem einen Mal bleiben würde, konnte er sich nicht einmal selbst einreden. Wie sollte das gehen?
    Sie wohnte in der Altstadt in Wismar, mitten in der Fußgängerzone. Deshalb parkte er den Mondeo auf einem Parkplatz außerhalb der City. Er überlegte, ob er seine Reisetasche nicht besser erst einmal im Auto lassen sollte. Irgendwie war es ihm auf einmal peinlich, mit einer für die Übernachtung gepackten Tasche bei einer Frau zu erscheinen, mit der er, wenn er ehrlich war, persönlich nur einmal geredet hatte. Doch dann gab er sich einen Ruck, dachte: auch egal, und marschierte los.
    * * *
    Wiebke hatte Günter die Story mit dem Freund, den er in Köln besuchen wollte, nur zum Schein abgenommen. Als sie ihn verabschiedet hatte, war alles in ihr verkrampft. Sie war sich nämlich sicher, dass er irgendwo was am Laufen hatte. Anders waren die vielen Überstunden, die er früher doch auch nicht gemacht hatte, gar nicht zu erklären. Außerdem war sie Frau genug, um zu wissen, wie Männer tickten. Ihr tat es ja auch leid, dass sie auf Sex im Moment keine Lust hatte. Zumal dieser »Moment« nun schon über ein Jahr andauerte. Aber sie konnte und wollte nichts vorspielen, was sie nicht empfand. Sie verstand, dass er sich nicht gut fühlte, wenn sie ihn immer wieder abwies. Aber darüber konnte sie nicht mit ihm reden. Zwar fuhr er ab und zu allein in den Swingerklub, den sie sonst gemeinsam besuchten. Doch es
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