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Raue See

Raue See

Titel: Raue See
Autoren: Ralph Westerhoff
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sogleich.
    Das Sogleich ist eine Frist,
    die genau zwei Wochen ist.«
    »Wilhelm Busch?«, sinnierte Streicher. »Aber was meint er denn mit ›auf den Pfaden dieser beiden‹?«
    »Das da«, sagte Carsten Franck und hantierte mit den beiden Fernbedienungen für Fernseher und DVD -Player. »Diese DVD war nämlich auch in dem Umschlag.«
    Zielkow und Streicher waren hartgesotten. Doch was sie sahen, war selbst für Polizisten mit jahrzehntelanger Erfahrung starker Tobak. Ein durch Verpixelung völlig unkenntlich gemachter, nur in seinen Umrissen erkennbarer Mann hielt die Ausgabe der »Norddeutschen Neuesten Nachrichten« vom vergangenen Samstag in die Kamera. Dann legte er die Zeitung beiseite. Die Frau, der er sich nun zuwandte, war nicht verpixelt. Bis auf das Gesicht. Es war nur als graues Loch zu erahnen. Sie war völlig nackt. Ihre Arme und Beine waren mit Schellen an einem überdimensionalen hölzernen Kreuz befestigt. Der Mann quälte die Frau mit allem, was seine Folterkammer bereithielt: Peitschen, Nadeln und Zangen, die der Mann an einer Schweißflamme bis zur Röte erglühen ließ, um dann damit in ihr Fleisch zu kneifen. Allein das Zuschauen erzeugte Schmerz. Wie musste die Frau gelitten haben.
    Unwillkürlich wünschte Zielkow ihr, dass sie bewusstlos würde. Doch sie warf ihren Kopf hin und her, rüttelte an den Schellen um ihre Extremitäten, schrie. Der Film war ohne Ton, doch sie erlebte die unmenschliche Tortur offensichtlich bei vollem Bewusstsein.
    »Okay, ich hab genug gesehen«, sagte Streicher irgendwann.
    »Haben Sie nicht«, widersprach Carsten Franck. Wenig später wussten Streicher und Zielkow, was er meinte. Sie beobachteten, wie der Mann die Frau auf brutale Weise vergewaltigte, um dann wie besessen mit einem Messer auf sie einzustechen. Sie sahen das Blut spritzen, bis irgendwann ihr Herz aufhörte zu schlagen und das Zucken des Leibes endete.
    Carsten Franck drückte eine Taste auf der Fernbedienung, und der Bildschirm wurde schwarz.
    Nach quälenden Minuten betretenen Schweigens räusperte sich Streicher. »Was wollen Sie nun von mir, Zielkow?«, fragte er.
    »Als mich der Kollege Franck vorhin telefonisch über einen gefilmten Mord informierte, hatte ich sofort einen Gedanken. Dazu will ich Ihre Meinung.«
    »Welchen Gedanken?«
    »Kann das ein schlechter Scherz sein? Ich meine: Der Film könnte doch eine Szene aus einem Horrorfilm und der Brief nebst Gedicht eine an die Kollegin Menn gerichtete geschmacklose Provokation sein?«
    Streicher kratzte sich am Kinn. »Nicht völlig ausgeschlossen. Dann muss es aber, verzeihen Sie die Wortwahl, eine verdammt gut gemachte Kopie sein. Für mich sieht das alles ziemlich echt aus. Ein Experte könnte das rauskriegen. Ich kenne da jemanden beim LKA .«
    »Bitte beauftragen Sie ihn«, ordnete Zielkow an. »Sie, Herr Franck, machen eine, ich betone: eine Kopie dieser DVD , die Sie persönlich an Herrn Dr.   Streicher zur weiteren Verwendung übergeben. Sie lassen außerdem den Brief nebst Umschlag und die Original- DVD auf Fingerabdrücke und sonstige Spuren untersuchen. Alles bitte topsecret. Bis auf Weiteres bleibt die Sache unter uns.«
    »Sie wollen Frau Menn nicht informieren?«, fragte Streicher überrascht.
    »Ich bin doch nicht verrückt«, meinte Zielkow und tippte sich an die Stirn. »Am Ende stellt sich raus, dass das alles nur eine bodenlose Geschmacklosigkeit war. Dann habe ich eine junge Mutter grundlos aus ihrem Erziehungsurlaub geholt und sie ohne Anlass völlig verängstigt. Da könnte ich ja gleich auf den Knien um Gnade winselnd zur Gleichstellungsbeauftragten kriechen.«
    »Auch wieder wahr«, sagte Streicher. »Könnte ich jetzt trotz allem noch die Reste meiner Ehe kitten?«
    »Kein Fußball heute Abend?«, fragte Zielkow.
    »Da sehen Sie mal, welchen Preis ich zu zahlen bereit bin«, antwortete Streicher säuerlich.
    Sie gaben sich die Hand. Vielleicht war ja alles doch nur ein böser Scherz.
    * * *
    Günter plagte sein Gewissen. Es war Freitagnachmittag, er war auf der Autobahn, und das Radio dudelte. Ein langes Wochenende lag vor ihm, frei von Verpflichtungen, doch er war nicht sicher, ob er das Richtige tat. Nicht dass es falsch war, mal ein Wochenende mit einem Kumpel zu verbringen. Das machten tausende Männer so, warum also nicht auch er? Das Schlimme an der Sache war, dass sein Kumpel Carolyn hieß, zweiunddreißig Jahre und damit gute achtzehn Jahre jünger war als er – und vor allem, dass Wiebke das alles nicht
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