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Rau ist die See ...

Rau ist die See ...

Titel: Rau ist die See ...
Autoren: S Hogan
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groß die MS Kyrene ist. Und was passiert, wenn die Beamten den blinden Passagier nicht finden?“
    „Was soll das denn heißen? Glaubst du mir etwa auch nicht?“
    „Das hat nichts mit Glauben zu tun, Jade. Aber wenn die Polizisten erst an Bord sind, wird das dem Kerl nicht entgehen. Er wird Lunte riechen, weil er eben nicht geschnappt werden will. Vielleicht ist es ein Krimineller, der illegal das Land verlassen muss. Er schleicht wieder davon, um sein Glück auf einem anderen Schiff zu versuchen.“ Henry zuckte die Schultern. „Die Möglichkeit besteht zumindest. Und wenn die Polizei dann keinen blinden Passagier findet, möchte ich nicht in deiner Haut stecken. Kapitän Granger kann sehr unangenehm werden, glaube mir.“
    Daran hatte Jade keinen Zweifel. Sie war Henry dankbar, weil er sie darin bestärkt hatte, nicht mit Granger zu reden. Weder über den Typen, der sich an Bord geschlichen hatte, noch über das Videotagebuch. Irgendwie war es auch verständlich, wenn sich der Kapitän über Zwischenfälle derart aufregte. Die MS Kyrene musste für die Kreuzfahrt einen strengen Zeitplan einhalten. Wenn es wegen einer erfolglosen Polizeiaktion zu Verzögerungen kam, war Ärger vorprogrammiert.
    Und dann würde Jade ihren Job genauso schnell verlieren, wie sie ihn bekommen hatte.
    Henry legte ihr beruhigend die Hand auf den Unterarm. „Es kann nichts schaden, die Augen offen zu halten, Jade. Ich werde auch darauf achten, ob ich irgendwo Spuren eines blinden Passagiers finde. Schließlich kenne ich das Schiff wie meine Westentasche. Und wenn wir handfeste Beweise haben, können wir immer noch zum Kapitän gehen.“
    „Ja, das ist gut“, erwiderte sie zerstreut. „Ich würde gern weiter mit dir reden, aber ich muss jetzt erstmal meinen Malkursus auf den Weg bringen. Sonst denkt der Kapitän wirklich noch, ich wollte hier kostenlos Urlaub machen.“
    „Alles klar, Jade. Wir sehen uns später.“
    Um die Malutensilien zu bekommen, ging Jade zum Zahlmeister. Watson war nicht nur für das Geld, sondern auch für alle Materialien an Bord verantwortlich. Scheinbar gab es nichts, was den Passagieren an Bord der MS Kyrene fehlen konnte – aber alles lief durch die Hände des Zahlmeisters.
    „Ja, natürlich haben wir Farben, Pinsel und Malpapier in unseren Vorräten“, sagte Watson, nachdem sie ihr Anliegen geschildert hatte. „Die früheren Animateurinnen haben auch gern Malstunden für die Kinder angeboten.“
    Er klickte sich durch mehrere Dateien und fand schließlich eine Liste, der er entnahm, in welchem Lagerraum Jade finden würde, was sie brauchte. Dann erklärte er ihr den Weg und reichte ihr seinen riesigen Schlüsselbund.
    Müde lehnte er sich wieder in seinem Bürostuhl zurück. „Die Schlüssel bringen Sie mir dann aber bitte wieder zurück, Miss Walker.“
    Jade versprach es und eilte wenig später in die Tiefen des Schiffsrumpfes. Aber entweder war Watsons Wegbeschreibung falsch, oder ihr Orientierungsvermögen ließ zu wünschen übrig. Jedenfalls hatte sie sich nach kurzer Zeit verlaufen.
    Ist ja kein Wunder, dachte sie missmutig. Die aus grauen Stahlplatten bestehenden Gänge sahen alle gleich aus. Zwar gab es hier und da Hinweispfeile mit Bezeichnungen wie „II ZD BB A“. Aber die verwirrten Jade nur noch mehr.
    Einmal begegnete sie einem Matrosen, den sie sofort nach dem Weg fragte. Doch er schüttelte nur den Kopf. „Ich bin Maschinist. In den Vorratsbunkern bin ich noch nie gewesen.“
    Bevor Jade eine weitere Frage stellen konnte, war der Mann schon zum nächsten Niedergang geeilt. Seufzend ging Jade weiter. Jetzt konnte sie nur hoffen, dass sie jemanden traf, der sich auskannte. Falls nicht musste sie wahrscheinlich stundenlang hier herumlaufen. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass der Zahlmeister irgendwann sein Schlüsselbund vermissen würde. Spätestens dann würde wohl jemand nach ihr suchen.
    Ob Ann vielleicht auch noch irgendwo durch die Gänge irrt, fragte sie sich plötzlich und schüttelte gleich darauf den Kopf. Seit sie auf diesem Schiff war, hatte sie nur noch merkwürdige Ideen und Fantasien.
    Jade bog um eine Ecke und blieb abrupt stehen. Ein Schraubenschlüssel war haarscharf an ihrem Gesicht vorbeigeflogen! Krachend knallte er gegen die stählerne Wand und fiel zu Boden.
    Jade erschrak, aber sie war eher wütend als ängstlich. „Spinnst du? Beinah hättest du mich getroffen!“, rief sie, ohne denjenigen zu sehen, der den Schraubschlüssel durch den Gang
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