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Raststätte Mile 81

Raststätte Mile 81

Titel: Raststätte Mile 81
Autoren: Stephen King
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nachdachte. Sie mochten einen Führerschein haben, aber sowohl Einfahrt als auch Ausfahrt der Raststätte Mile 81 waren jetzt mit großen orangeroten Fässern des Straßendienstes verbarrikadiert. Aus dem rissigen Beton des verlassenen Parkplatzes wucherte bereits das Unkraut. Das hatte Pete selbst schon tausendmal gesehen, weil der Schulbus die I-95 benutzte, um von Laurelwood aus, wo er zustieg, drei Ausfahrten weit zur Auburn Elementary School Nr. 3 in der Sabattus Street zu fahren.
    Er konnte sich noch an die Zeit erinnern, als die Raststätte geöffnet gewesen war. Es hatte eine Tankstelle, einen Burger King, einen Frozen-Yogurt-Laden und ein Sbarro’s mit lecker italienischer Pizza und Pasta gegeben. Dann war die Mile 81 geschlossen worden. Petes Dad hatte mal gesagt, am Turnpike gebe es einfach zu viele Raststätten und der Staat könne es sich nicht leisten, alle zu betreiben.
    Pete schob sein Rad durch die Lücke im Maschendrahtzaun, dann drückte er das improvisierte Tor wieder zu, bis die Rauten zusammenpassten und der Zaun wieder ganz aussah. Er ging auf die Wand aus Büschen zu und achtete darauf, mit den Reifen des Huffys nicht über Glasscherben zu fahren (von denen es auf dieser Seite des Zauns nicht wenige gab). Außerdem hielt er Ausschau nach dem Besonderen, das es hier geben musste; der zerschnittene Zaun sprach Bände davon.
    Und da war es auch, von ausgetretenen Zigarettenkippen und ein paar weggeworfenen Bier- und Limonadenflaschen markiert: ein Trampelpfad, der tiefer ins Gebüsch führte. Pete schob sein Rad weiter und folgte dem Pfad. Das hohe Gebüsch verschluckte ihn. Und hinter ihm verträumte die Rosewood Terrace einen weiteren trüben Frühlingstag.
    Es war, als wäre Pete Simmons niemals da gewesen.
    *
    Der Trampelpfad zwischen dem Maschendrahtzaun und der Raststätte Mile 81 war nach Petes Schätzung ungefähr eine halbe Meile lang, und unterwegs gab es überall Hinweise auf die Jugendlichen: ein halbes Dutzend winzige braune Fläschchen (zwei noch mit Kokslöffeln, an denen Rotz klebte), leere Snackpackungen, ein Slip mit Spitzenbesatz, der an einem Dornbusch hing (Pete hatte den Eindruck, dass er schon länger dort hing, vielleicht schon an die fünfzig Jahre), und – Jackpot! – eine halb volle Flasche Wodka Popov, noch mit Schraubverschluss. Nach kurzer innerer Diskussion steckte Pete sie in die Satteltasche zu seinem Vergrößerungsglas, dem neuesten Heft von American Vampire und einigen in einem Plastikbeutel verstauten doppeltgefüllten Oreos.
    Er schob sein Rad über einen träge fließenden kleinen Bach, und bingo-boingo: Da war die Rückseite der Raststätte. Hier gab es einen weiteren Maschendrahtzaun, aber auch dieser war aufgeschnitten, und Pete konnte glatt hindurchschlüpfen. Der Trampelpfad führte nun durch hohes Gras zum rückwärtigen Parkplatz. Auf dem früher die Lastwagen mit Lieferungen vorgefahren waren, vermutete er. In der Nähe des Gebäudes konnte er auf dem Asphalt dunklere Rechtecke sehen, wo einmal die Müllcontainer gestanden hatten. Pete klappte den Ständer seines Huffys herunter und stellte es auf einem davon ab.
    Als er daran dachte, was als Nächstes bevorstand, fing sein Herz zu pochen an. Einbruch, du Hasenfuß. Dafür könntest du ins Gefängnis kommen. Aber war es Einbruch, wenn man eine offene Tür vorfand oder das Brett bei einem vernagelten Fenster lose war? Natürlich würde er dort unbefugt eindringen, aber war bloßes Eindringen schon eine Straftat?
    In seinem Innersten wusste er, dass es eine war, aber er vermutete, dass es ohne Gefängnis abgehen würde, wenn dabei keine Gewalt angewendet wurde. Und war er nicht hergekommen, um etwas zu riskieren? Etwas, womit er später Normie und George und den übrigen Rip-Ass-Raiders gegenüber angeben konnte?
    Okay, er hatte Angst, aber wenigstens langweilte er sich nicht mehr.
    Pete versuchte, die Tür mit dem verblassenden Schild NUR FÜR PERSONAL zu öffnen und stellte fest, dass sie nicht nur abgeschlossen, sondern ernsthaft abgesperrt war – sie gab keinen Millimeter nach. Flankiert wurde sie von zwei Fenstern, aber ein Blick genügte, um ihm zu zeigen, dass sie fest vernagelt waren. Dann erinnerte er sich an den Maschendrahtzaun, der ganz ausgesehen hatte, aber es nicht gewesen war, und rüttelte deshalb an den Brettern. Aussichtslos. Irgendwie war das eine Erleichterung. Jetzt konnte er einfach unverrichteter Dinge umdrehen, wenn er wollte.
    Nur … die Wirklich Großen kamen dort rein.
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