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Ramses Mueller

Titel: Ramses Mueller
Autoren: Tex Rubinowitz
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Neubeginn, wenn alles in Trümmern liegt, kann es nicht noch kaputter gehen. Also das mit diesem Doc Ogen Clon, das würde ihn interessieren, das würde nahtlos an den Partyschreck anschließen, allerdings hat er gerade bei Stuckrad-Barre ein Stück in Auftrag gegeben, ach, Stuckrad-Barre, den kennt er? Ja, wieso, der saß doch eben noch hier, der ist jetzt im Klo mit den anderen, Lydia und Armin schauen sich an, ist Haußmann also auch einer von den Barreleuten? Das Letzte bekommt Schlingensief mit, aha, Haußmann, der Idiot, scheint wirklich nicht eingeweiht zu sein, dass die handelnden Personen des Stuckradstücks vor ihm sitzen und er sogar selbst eine ist, Schlingensief ist wieder ein wenig versöhnt, er braucht ein neues Bier, er braucht viel Bier, für 160 Euro Bier, er will was sehen für sein Geld, er lacht.
    – Biscoito, bring noch mal zwei Bier, schnell, ein kleines Bier trinkt sich ja schneller weg als ein großes.
    Auch die anderen, bis auf Lydia, bestellen jetzt ein nächstes Bier, Schlingensiefs Logik macht sie durstig. Der Koch räumt die leer gegessenen Teller ab, bringt das Bier, Stuckrad denkt nach, er hat plötzlich kein allzu gutes Gefühl mehr, er muss jetzt denken, während die anderen weiter über Madonna reden, »time goes by so slowly«, dass sie das im Video in der Disco singe, aber kein Mensch geht doch in die Disco und jammert, dass die Zeit so langsam vergeht, und noch niemand hat je das Ende einer Disco erlebt, so kurz vor sechs, oder wann auch immer solche Läden zumachen, schauen doch alle nervös auf die Uhren, alle wollen abhauen, bevor es zu spät ist, wirklich ein tolles Bild, plötzlich haben es alle eilig, niemand will der Letzte sein, wenn das Licht angeht und alle bleichen Gesichter sich fragend anschauen, oh mein Gott, das ist das Ende, sie haben verloren, wir müssen raus aus dem Uterus, der Geborgenheit des Lärms und der komprimierten Luft voller Versprechungen, dahin sind sie, jetzt raus an die feindliche frische Luft, man versteht, dass denen die Zeit zu langsam vergeht, bevor sie in die Disco kommen, aber dann sind sie in der Disco und tanzen alle, sind fröhlich, froh und gut gelaunt und kosten jede Sekunde aus, sie fühlen sich unsterblich, und dann wird die Musik leiser und es tickt die Uhr, tick tock tick tock, und auch hier singt sie »time goes by so slowly«, das kann mir doch keiner erzählen, dass einem die Zeit in der Disco zu langsam vergeht, außer dem, der dazu gezwungen wird, Discofolter. Der letzte Gast, was für ein Bild des Jammers, man hat zwar alle überlebt, aber zu welchem Preis? Der Letzte macht das Licht an. So reden sie, und Stuckrad überlegt, er versucht es, er versucht angestrengt zu denken, es geht schlecht, er bräuchte Ohrenstöpsel, Schubal fragt:
    – Discotod, alle wollen vor den anderen sterben?
    – Genau, ein frühes Ende ist doch etwas Herrliches, will das nicht jeder? Ist doch bei Weitem besser, als wenn sich etwas ewig zieht, wenn du jetzt vom Tod sprichst, kann ich mir z. B. gar nichts Idealeres vorstellen, als, sagen wir mal, von hinten von einem Irren in den Kopf geschossen zu werden, keine Zeit zum Überlegen, und schwupp, weg ist man, was ist denn die Alternative? Jahrelang an Schläuchen hängen und in der eigenen Scheiße schmoren? Nein danke.
    – Aber das Ende einer Disco zu erreichen hat doch auch was von Triumph, ich hab’s bis zum Schluss geschafft, wie ein Marathon oder so was.
    – Was hat das? Dass man zwar durchgehalten hat bis zum Schluss, aber da steht wie bestellt und nicht abgeholt, ein Heimatloser, ein Hamster, einer, der Angst vor der eigenen Wohnung hat, also vor der eigenen Courage, das findest du triumphabel? Es gab doch auch mal so einen Film Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss , da geht’s um so eine Dauertanzveranstaltung, das Paar, das bis ganz zum Schluss übrig bleibt, bekommt eine Prämie, das sind dann echt so Wracks, die sich nur mühsam auf den Beinen halten können, jammervolle Figuren, sie hängen in den buchstäblichen Seilen und betteln um Erlösung, da würde die Madonnazeile prächtig passen: »time goes by so slowly«. Armin hatte mal dieses eine Lied gehört, »Time fl ies by when I’m the driver of a train«, aber das schenkt er sich jetzt, sonst kommen sie auf Mehdorn, dann wird’s haarig, von Madonna zu Mehdorn und zurück, bitte zurücktreten, Gleis 4, Zug fährt ein.
    Stuckrad kann sich nur noch schwer konzentrieren, eine Mischung aus Weghörenwollen und Zuhörenmüssen, das
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