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Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter

Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter

Titel: Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
Autoren: Robin Hobb
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draußen den Kahn flottmachen und vom Uferschlamm in die Strömung stoßen. Zweifellos waren die Drachen bereits aufgebrochen, gefolgt von der Flottille der Hüter in ihren kleinen Booten. Ihr stand ein weiterer Reisetag flussaufwärts bevor, voller Ausblicke auf den Fluss, die hohen Bäume und den Himmelsstreifens, der zuweilen wie ein zweiter Strom wirkte. Jeder Tag war ein neues Abenteuer für sie. Sie würde neue Blumen mit unvertrauten Düften entdecken, fremdartige Tiere sehen, die ans Ufer des Flusses kamen oder von seinem Grund aufstiegen und glitzernd in die Sonne sprangen. Nie hätte sie sich träumen lassen, dass die Regenwildnis von so reichem Leben erfüllt war. Als sie erfahren hatte, dass der Fluss oft weiß und säurehaltig daherfloss, hatte sie sich seine Ufer als verlassenes Ödland vorgestellt. Doch ganz im Gegenteil fand sie allenthalben vielerlei Bäume, Pflanzen und Tiere, deren Existenz sie sich niemals erträumt hätte. Die Fische und Wasserwesen, die sich an den wechselhaften Säuregehalt des Flusses angepasst hatten, verblüfften sie. Allein Vogelsorten gab es Hunderte, und Leftrin schien sie alle am Aussehen oder am Klang zu erkennen …
    Und wieder waren ihre schweifenden Gedanken bei dem Mann angekommen, der die Wurzel all ihrer Probleme darstellte.
    Nein. Das war ungerecht. Sie durfte ihm nicht die Schuld geben. Es lag allein an ihr, dass sie derart besessen von ihm war. Natürlich war ihr klar, dass er in sie verliebt war, denn seine aufrichtige Seele konnte kaum etwas vor ihr verbergen. Seine Zuneigung zu ihr und sein Interesse sprachen aus jedem Blick und aus jedem Wort, das er mit ihr wechselte. Wenn sie zufällig seine Hand berührte, durchfuhr es sie wie ein Blitz, der den gesamten Himmel spaltete. Lang tot geglaubte Gefühle und ein körperliches Sehnen hatten sie erfasst, brandeten wie welterschütterndes Donnergrollen durch ihr Inneres.
    Gestern Abend, als er ihr gezeigt hatte, wie man einen Palstek knotete, hatte sie Ungeschicklichkeit vorgetäuscht. Es war ein Schulmädchentrick, aber der arme ehrliche Mann war vollkommen darauf hereingefallen. Er war hinter ihr gestanden, hatte beiderseits die Arme um sie gelegt und ihre Hände gefasst, um sie bei den einfachen Handgriffen anzuleiten. Ihr war heiß geworden, und ihre Knie hatten regelrecht gezittert, weil er ihr so nahe gewesen war. Ein Anflug von Schwindel hatte sie befallen, und sie wäre am liebsten auf Deck niedergesunken und hätte ihn mit hinuntergezogen, damit er sie unter sich begrub. In seiner lockeren Umarmung war sie in Schweigen verfallen und hatte zu jedem Gott, von dem sie je gehört hatte, gebetet, dass Leftrin wissen möge, was sie so heiß begehrte, und entsprechend handeln würde! Dies, ja dies waren die Gefühle, die sie bei dem Mann hätte empfinden sollen, mit dem sie verbunden war, die sie aber nie auch nur im Ansatz verspürt hatte!
    »Versteht Ihr es nun?«, hatte er sie mit heiserer Stimme gefragt. Seine Hände auf ihren zogen den Knoten fest.
    »Ja«, hatte sie entgegnet. »Jetzt verstehe ich es gänzlich.« Allerdings hatte sie nicht die Knoten gemeint. Wagemutig war sie einen Schritt zurückgetreten, sodass sich ihr Leib an seinen schmiegte. Ebenso kühn hatte sie sich in seinen Armen umgedreht und zu seinem geliebten, bärtigen Gesicht aufgesehen. Dann hatte die Feigheit sie gelähmt. Sie brachte kein einziges Wort heraus. Eine Zeit lang, die unendlich kurz und doch unvergänglich war, hielt er sie in seinen Armen, warm und sicher. Um sie her führten die Geräusche der nächtlichen Regenwildnis mit Wellen, Vögeln und Insekten ein zartes Musikstück auf. Sie sog seinen männlichen Moschusduft ein, den Sedric abfällig »schweißig« genannt hätte. Doch für sie war er atemberaubend. In seinen Armen gewann sie ein Gefühl für seine Welt. Das Deck unter ihren Füßen, die Reling, der Nachthimmel über ihr und der Mann in ihrem Rücken schufen für sie eine Verbindung zu etwas Großem, Wundervollem, zu etwas, das ungezähmt und ihr dennoch vertraut war.
    Dann hatte er die Arme fallen lassen und war zurückgetreten. Die Nacht war heiß und schwül, die Insekten zirpten und summten, und sie vernahm den Schrei eines Mückenjägers. Doch all dies drang nur wie durch einen Schleier zu ihr. Gestern Nacht wie auch jetzt in diesem Augenblick war ihr bewusst gewesen, dass sie zweifellos noch immer das mausgraue, schulmeisterliche kleine Dämchen aus Bingtown war. Sie hatte sich an Hest verkauft, hatte sich
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