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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song
Autoren: Antje Babendererde
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Wurzeln des Strauches frei und Hanna rutschte nach unten.
    Plötzlich hörte sie einen Ruf. Hanna glaubte, einer Halluzination erlegen zu sein, doch die Hoffnung war wieder da und sie schrie, so laut sie konnte, um Hilfe.
    »Bleiben Sie ganz ruhig«, drang eine Männerstimme von unten zu ihr herauf. »Nicht bewegen! Ich helfe Ihnen.«
    Während Hanna sich panisch festkrallte, versuchte sie herauszufinden, wo der Mann stand. Doch ein paar Haarsträhnen hatten sich aus dem Gummi gelöst, sie klebten an ihrer feuchten Stirn und nahmen ihr jede Sicht.
    »Beeilen Sie sich!«, brüllte sie.
    Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis der Mann sich wieder meldete.
    »Hören Sie mir gut zu und machen Sie genau, was ich sage.«
    »Okay.« Sie versuchte, die Haarsträhnen aus ihrem Gesicht zu pusten, aber es funktionierte nicht.
    »Stoßen Sie sich mit den Beinen von der Felswand ab und springen Sie, so weit Sie können, nach links. Dort ist eine tiefe Stelle.«
    Ein Gurgeln drang aus Hannas Kehle. Springen? Der einzige Mensch, der ihr helfen konnte, schien hoffnungslos verrückt zu sein.
    »Niemals!«, schrie sie. Angst schnürte ihre Kehle zu und erstickte ihr verzweifeltes Schluchzen. Ihre Kräfte ließen nach.
    »Es ist Ihre einzige Chance«, rief der Mann ungeduldig. »Machen Sie schon! Die Wurzel hält Sie nicht mehr lange.«
    Hanna schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht.« Ich kann keinem verrückten Fremden mein Leben anvertrauen.
    »Nicht nachdenken, okay? Das Meer wird Sie auffangen.«
    Die Wurzeln des Strauches gaben erneut ein Stück nach und Hanna stöhnte leise auf.
    »Springen Sie, verdammt noch mal!«
    Mit einem grausam endgültigen Geräusch lösten sich die Wurzeln aus der Felsspalte. In letzter Sekunde stieß Hanna sich mit dem rechten Bein kräftig nach links vom Felsen ab und – sprang.
    Sie fiel nur kurz. Das Wasser schlug über ihr zusammen und die Kälte drückte ihr die Luft aus den Lungen. Es hat funktioniert, schoss es ihr durch den Kopf, dann dachte sie nichts mehr. Es war unerwartet still um sie herum – wie unter einer Glocke aus Glas. Dahinter eine andere Welt, ein Rausch aus Farben. Die Zeit schien langsam zu werden und die Kälte spürte sie nicht mehr. Grün schillernde Hände griffen nach ihr und zogen sie auf den Grund.
    Das Meer nahm Hanna in die Arme. Es war so einfach, sich gehen zu lassen. Schwerelos trieb sie dahin, spürte, wie ihr Körper sich aufzulösen begann und wie sie eins wurde mit der Welt unter Wasser. In ihrem Inneren war es ein beruhigendes Gefühl: am Ende dorthin zurückzukehren, wo alles Leben einst begonnen hatte. Die Schwerkraft der Farben war beglückend. Sie würde zum Ufer der Stille gelangen. Ihr Körper als Gegengabe für immerwährenden Frieden. Wenn sich der Tod so anfühlt, dann hatte sie keine Angst vor ihm.
    Kräftige Finger, warm und sehr lebendig, packten Hanna derb unter den Achseln und holten sie zurück ans Licht. Über der Wasseroberfläche machte sie einen schmerzhaften Atemzug, hustete und schlug prustend um sich. Jemand klemmte ihre Arme fest und ging dabei nicht zimperlich mit ihr um. Gegen diese Kraft hatte sie keine Chance.
    »Es ist vorbei«, sagte die Männerstimme dicht an ihrem Ohr. »Atmen Sie.«
    Hanna hörte auf, sich zu wehren, und versuchte zu tun, was von ihr verlangt wurde. Sie blinzelte gegen das Brennen in ihren Augen an. Der Mann, der sie fest umklammert hielt, hatte dunkle Haut und schwarzes Haar. Mit einem Arm hielt er sie über Wasser, schwamm mit ihr zum muschelbewachsenen Felsen und zog sie hinauf. Er lehnte ihren Oberkörper so vorsichtig gegen eine Felswand, als wäre sie zerbrechlich.
    »Sind Sie in Ordnung?«, fragte er besorgt.
    Hanna wollte etwas sagen, aber sie musste husten und spuckte salzigen Schleim.
    Nichts ist in Ordnung. Ich wäre beinahe gestorben.
    Brennende Flüssigkeit rann ihr aus der Nase. Sie hatte Meerwasser in die Nebenhöhlen bekommen, vermutlich eine ganze Menge.
    Der Indianer kniete neben ihr. »Tut Ihnen etwas weh?«
    Sie schüttelte den Kopf, begann aber auf einmal, am ganzen Körper unkontrolliert zu zucken.
    Der Mann nahm sie an den Schultern und drückte sie sanft aber bestimmt gegen die Felswand – bis das Zittern aufhörte. »Schon gut!«, versuchte er, sie zu beruhigen. »Es ist nichts passiert. Ziehen Sie Ihre nasse Jacke aus und bewegen Sie sich ein bisschen.« Er ließ Hanna los. Sie sah, dass er barfuß war. Vorsichtig stieg er über die Muschelbänke wieder in die Bucht. »Ich hole nur
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