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Räuberleben

Räuberleben

Titel: Räuberleben
Autoren: Lukas Hartmann
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hart arbeitender Mann. Mir ist aber, seit dem Tag der Hinrichtung, anfallweise das ganze Menschengeschlecht widerwärtig. Vielleicht habe ich mich zu gründlich mit Insekten beschäftigt, jedenfalls bemerke ich in solchen dunklen Momenten bei unseresgleichen insektenhafte Züge, etwas Wimmelndes, Blindes, eifrig Füßelndes, das mir ganz und gar missfällt. Die riesige Menge, die hinauf zum Galgenbuckel schwärmte, sich dann auf dem Feld verteilte: glich sie nicht dahinkrabbelnden Ameisen, die nur einem einzigen Willen zu gehorchen schienen? Und gingen dort oben, beim gierigen Starren auf den Galgen, nicht alle Unterschiede zwischen den Individuen verloren? Diese Stimmung, die das eigene Selbst auszulöschen drohte, erfasste auch mich, ich war ein Teil dieser erregten Menge, die den Tod ihrer - nennen wir sie - Fressfeinde sehen wollte, es kostete mich größte Mühe, mich daraus hinauszuarbeiten und wieder ein Einzelner zu werden. Es wäre für viele wohl leichter, Ameise zu sein als Mensch. Und wenn Sie finden, dass ich die Dinge maßlos überspitze, dann treiben Sie mir, ich bitte Sie inständig, in einem nächsten Brief solche misanthropischen Flausen aus, ich leide unter ihnen.
    Dabei habe ich doch auch Anlass, Ihnen eine erfreuliche Mitteilung zu machen. Meine Junggesellenzeit findet nächstens ein Ende, ich werde mich mit meiner langjährigen Zimmerwirtin vermählen, die verwitwet ist wie ich. Die Entscheidung fiel mir nicht leicht, hatte ich doch während sechs Jahren ein distanziertes Verhältnis zu ihr gewahrt. Vom pekuniären Standpunkt aus bringt uns die Zusammenlegung zweier Haushalte einige Vorteile: Ich habe mein Gehalt, sie bezieht eine schmale Rente, beides zusammen, so haben wir errechnet, hält uns gut über Wasser. Und wenn wir meine Tochter Sophie zu uns nehmen, verbessert sich unsere Lage noch einmal, weil dann das Kostgeld wegfällt. Dies gilt es allerdings gründlich abzuwägen, denn Sophie hat sich an das Leben bei der Tante gewöhnt. Kinder sollte man ohne Not nicht entwurzeln, das weiß ich aus eigener Erfahrung.
    Aber ich will nicht nur die Macht des Geldes heraufbeschwören. Wirklich zusammengebracht hat meine künftige Frau und mich die Hannikelgeschichte, derentwegen ich oft geistesabwesend gewirkt haben muss. Als Caroline mich in der Nacht vor der Hinrichtung darauf ansprach, kam zutage, auf was für schwankendem Grund ich mich befand, und in solchen Augenblicken ist fraulicher Trost ein Segen. Kurz und gut, wir haben wider Erwarten zusammengefunden. Mein bisheriges Zimmer wird für mich reserviert bleiben, nachts ziehe ich hinüber ins eheliche Schlafzimmer mit Sicht auf den Mühlkanal.
    Zu meinem Leidwesen ist es nun aber so, dass Caroline die meisten Insekten überhaupt nicht mag und nicht willens ist, zum Beispiel einer Wespe so etwas wie Schönheit zuzugestehen. Anlässlich eines unserer auf Einigung zielenden Gespräche hat sie mir nahegebracht, dass meine verglasten Sammlungskästen ihr Angst machten und sie auch deshalb mein Zimmer seltener geputzt habe, als nötig gewesen wäre. Man wisse doch nicht, ob all die stachelbewehrten geflügelten Wesen plötzlich wieder lebendig würden und sie dann, ließe sie beim Abstauben einen Kasten fallen, zu Hunderten umschwirren würden. Das mag uns beide lachhaft anmuten; aber ich kann ihr diese Angst nicht wegzaubern, und so habe ich ihr hoch und heilig versprochen, dass die Kästen in meinem Arbeitszimmer eingeschlossen bleiben. Zudem gelobte ich, mit meiner Sammlung keinesfalls in andere Bereiche der Wohnung zu expandieren.
    Ich werde also meine Sammelleidenschaft etwas zügeln müssen, hoffe aber doch, lieber Freund, dass wir in Verbindung bleiben und eines Tages zusammentreffen. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als in Ihre Sammlung, die ja weit umfangreicher als meine ist, eingeführt zu werden. Bis dahin verspreche ich, dass ich Ihnen die Exemplare von Hautflüglern, die mir unbekannt sind, nach wie vor zuschicken werde.
    Zum kleinen Hochzeitsfest, das wir in einem Monat feiern werden, sind Sie herzlich eingeladen. Ich verstehe aber gut, wenn Ihr Amt und anderes mehr Sie in Kiel zurückhält. Übrigens wird der Herr Oberamtmann Trauzeuge sein, er hat uns nach anfänglichem Zögern seine Zusage übermittelt. Für Caroline ist es eine Ehre, den Herrn Oberamtmann auf diese Weise dabeizuhaben.
     
    In beständiger Freundschaft Ihr Wilhelm Grau, Schreiber
     
    Epilog
     
    Sulz am Neckar, 14. Februar 1813
     
    Das Papier häuft
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