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Räuberleben

Räuberleben

Titel: Räuberleben
Autoren: Lukas Hartmann
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genommen, dass meine private Korrespondenz liegenblieb. Es war eine Last, die mich zuweilen beinahe erdrückte und freundliche Gedanken, die Ihnen und meiner Sammlung gegolten hätten, gar nicht mehr zuließ. Nun aber ist die Angelegenheit, die so weite Kreise zog, juristisch abgeschlossen, die Rädelsführer wurden vor wenigen Wochen gehängt, die anderen haben ihre Strafen im Zuchthaus angetreten. So kann ich wieder freier atmen, wobei ich gestehen muss, dass die Bedrückung noch nicht ganz gewichen ist. Es ist nicht schön, Zeuge einer Hinrichtung zu sein, selbst wenn der Jubel des mehrtausendköpfigen Pöbels eine andere Meinung ausdrückt; und es lässt einen empfindsamen Menschen nicht gleichgültig, wenn der Sohn Hannikels, ein verhuschtes Bürschchen, dabeistehen muss, um den Vater sterben zu sehen.
    Am Tag nach der Hinrichtung ist der Bub auf einem schlechten Rumpelkarren, zusammen mit den anderen Zigeunern, abtransportiert worden, unter strenger Bewachung selbstredend. Mir war die administrative Abwicklung der Abfahrt aus Sulz auferlegt; es kam mir vor, als wolle mich unser erlauchter Herr Oberamtmann prüfen, ob ich das Restchen an rebellischem Geist, das eine Schreiberlaufbahn übriglässt, niederzukämpfen vermöge. Der Bub oben auf dem Wagen hielt sich am Holmen so verzweifelt fest, als sei dies sein allerletzter Halt. Ich hatte ihn im Lauf der Monate einige Male angesprochen, aber mehr als ein paar Worte konnte ich ihm nie entlocken. Er zählte mich offensichtlich zu den vielen, die nichts anderes im Sinn hatten, als ihn und die Seinen wegzusperren. Er ist knapp dreizehn, zu klein und zu mager für sein Alter, seine Gesichtszüge sind beinahe mädchenhaft fein, er gleicht weder dem grobschlächtigen Vater noch der Mutter; in ihm schlummert etwas Liebenswertes, das unter glücklicheren Umständen zum Vorschein käme. Dass er als Kind an der Ermordung des Grenadiers Toni Pfister beteiligt war, deutet nicht auf eine unabänderliche Räuberseele hin, sondern hat nach meiner Überzeugung mit den Verhältnissen zu tun, in die er hineingeboren wurde. Ich hätte ihm allzu gerne das Schicksal erspart, ins Waisenhaus geschickt zu werden. Auf dieser Bahn wird er unweigerlich weiter verkümmern und verrohen. Doch meine Hände sind ebenso gebunden wie seine, bloß auf andere Weise.
    Immer wieder habe ich, lieber Freund, in letzter Zeit darüber nachgedacht, weshalb ausgerechnet der kleine Dieterle so sehr mein Mitleid erregen konnte. Seine Halbschwester Dennele ist in ihrer geistigen Beschränktheit eigentlich ein bedauernswerteres Geschöpf, und auf sie die volle Härte des Gesetzes anzuwenden, mag ebenfalls zweifelhaft sein. Dennoch stand mir Dieterle stets als Erster vor Augen. War ich einer wie er in meiner Kindheit? So verschüchtert und trotzig? So abweisend und liebesbedürftig? Ich glaube nicht. Mein Vater starb früh, das ist wahr, ich wurde herumgeschoben, kam aber doch zu Verwandten, die mich freundlich behandelten. Es ist offenbar so, dass man manchmal innerlich für jemanden Partei ergreift, ergreifen muss und dafür keine befriedigende Erklärung findet. Dieterle ist jetzt zumindest aus meinem äußeren Leben verschwunden, ich werde ihm wohl nie wieder begegnen.
    Schäffer, unserem vielbewunderten Oberamtmann, scheint dies alles viel weniger anzuhaben. Er ist schon wieder voller Tatendrang, er plant auf Grundlage der Verhöre, bei denen viele - uns bis dahin unbekannte - Namen von Komplizen genannt wurden, eine neue Gauner- und Diebsliste. Den Hauptteil der Arbeit werden wieder ich und mein Gehilfe zu erledigen haben; im Glanz, Deutschlands erfolgreichster Räuberjäger zu sein, wird sich indessen nur einer sonnen: der Herr Oberamtmann. Dass Seine Durchlaucht, Herzog Karl Eugen, ihn bisher für seine Verdienste nicht gebührend belobigt und belohnt hat, macht Schäffer zu schaffen, ich spüre es wohl und kann es sogar verstehen, denn ein Geldgeschenk oder ein Orden wäre zu erwarten gewesen. Diese subtile Missachtung, die zum Teil durch ausländisches Lob wettgemacht wird, kann unseren Schäffer indessen nicht bremsen, er wird seine Anstrengungen verdoppeln und mit weiteren Taten die ausdrückliche Anerkennung des Landesherrn zu erringen versuchen.
    Verzeihen Sie mir den spöttischen und bitteren Ton, der die letzten paar Sätze durchdringt. Einem Vertrauten darf ich dies zumuten. Ich will dem Oberamtmann, den ich allerdings nur als Amtsperson kenne, nicht den Respekt verweigern, er ist ein braver und
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