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Rätselhafte Umarmung

Rätselhafte Umarmung

Titel: Rätselhafte Umarmung
Autoren: Tami Hoag
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über die weite Eingangshalle verteilten Scheinwerfer. Die Fotokamera überprüfte er zuletzt.
    Als er sich davon überzeugt hatte, daß alles an seinem Platz und einsatzbereit war, schaltete er das Licht in der Eingangshalle aus, drehte sich um und ging die kurze Treppe bis zum nächsten Absatz hoch. Sein sonst so leichter Gang war schwerfällig. Er stammte aus einer sportlichen Familie und war ebenfalls sportlich erzogen worden. Sein Bruder J. J. war einst Profifußballspieler gewesen, seine Schwester Marie war eine berühmte Eiskunstläuferin. Bryan hatte sich bislang vor allem auf dem Tennisplatz ausgezeichnet, aber in letzter Zeit spürte er jeden einzelnen Tag seiner sechsunddreißig Jahre, und manchmal noch mehr.
    Den Rücken gegen die moderne Tapete gelehnt, ließ er sich auf den staubigen Holzboden des Treppenabsatzes sinken. Er zog sich ganz in den Schatten zurück, ohne sich darum zu kümmern, daß der Boden klamm war und daß es auf der Treppe zog. Solche Unannehmlichkeiten waren bei seiner Art von Arbeit nicht ungewöhnlich. Er hatte oft in feuchten, kalten Schiffsladeräumen gekauert und gewartet. Er hatte ungezählte Nächte in Burgen verbracht, die lange vor der Erfindung der Zentralheizung erbaut worden waren, und gewartet. Im Vergleich dazu war ein heruntergekommenes viktorianisches Landhaus wie dieses beinahe gemütlich. Außerdem achtete er schon lange nicht mehr auf körperliche Beschwerden. Wahrscheinlich war es eine Art Sieg, daß er den Windzug überhaupt bemerkt hatte. Die Mädchen wären stolz auf ihn.
    Komisch, wie sie doch schließlich alle hier oben gelandet waren. Die Furchtbaren Vier hatten sich getrennt, hatten vier verschiedenen Regenbogen nachgejagt, nur um sich am Ende alle in Anastasia wiederzufinden, jenem Ort, um den sich vor Jahren ihre Träume und Phantasien gerankt hatten. Faith hatte ihr Gasthaus und ihre Familie bekommen. Jayne hatte ihre Farm und einen Mann, der sie zwar nicht immer ganz verstand, aber sie trotzdem akzeptierte. Und Alaina hatte endlich einen Ort gefunden, wo sie hingehörte: eine Familie, die sie lieben konnte und von der sie geliebt wurde.
    Bryan war nach Anastasia gekommen, um Trost und Mitleid zu finden, und seine alten Freundinnen hatten ihm beides reichlich gegeben ... eine Weile jedenfalls. Sie hatten ihn getröstet und ihm einen Unterschlupf geboten, in dem sein gebrochenes Herz heilen konnte. Dann hatte jede von ihnen auf ihre eigene Weise angedeutet, daß es langsam Zeit für ihn wurde, wieder zu leben.
    Faith hatte es ihm sanft beigebracht. So war sie einfach: sanft, diplomatisch, mitfühlend - und diese Eigenschaften hatte sie in den sechs fahren, die sie nun Mutter war, zur Perfektion ausgebildet. Alaina hatte ihm ihre Meinung unverblümt ins Gesicht gesagt. Jayne hatte es mit Beschwörung und Philosophie versucht.
    Und gemeinsam hatten die Mädchen die Idee ausgeheckt, daß er Addie Lindquists Haus auf paranormale Ereignisse hin untersuchen sollte. Bryan musste lächeln. Früher hatte er sich immer um die Mädchen gekümmert und auf sie aufge passt , doch jetzt hatten sie sich zusammengetan, um ihm wieder auf die Beine zu helfen. Bessere Freunde konnte man sich nicht vorstellen.
    Er wusste , daß sie recht hatten. Niemand konnte ewig trauern. Trotzdem spürte er leisen Trotz. In seiner Trauer lag ein perverser Trost. Solange er sich an seine Trauer klammerte, klammerte er sich auch an Serena. Wenn er seine Trauer losließ und sich wieder in die Arbeit vertiefte, wenn er neue Freunde fand und aufhörte, Serena die ganze Zeit so sehr zu vermissen, dann würde er sie endgültig verlieren. Die Erinnerung an sie und die Erinnerung an den Verlustschmerz würden schwächer werden, und etwas in ihm wollte das auf keinen Fall. Er hatte sie so sehr geliebt, daß es immer noch besser war, an diesen schmerzvollen Erinnerungen festzuhalten, als gar nichts mehr zu haben.
    Also hatte er einen Kompromiß mit sich selbst geschlossen. Er würde wieder arbeiten, langsam wieder anfangen zu leben, aber für jede tiefere Verbindung mit anderen Menschen war es noch zu früh. Vorerst hatte er einfach nichts zu geben.
    Bryan zwängte sich tiefer in die Ecke und seufzte schwermütig. Weiches, graues Mondlicht strömte durch die schmalen Fenster beiderseits der Haustür in die Eingangshalle. Unten war alles still. Außer dem Modergeruch spürte er nichts in der Luft um ihn herum. Bis jetzt hatte sich Drake House nicht gerade als Brutstätte parapsychologischer Aktivität
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