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Rätselhafte Umarmung

Rätselhafte Umarmung

Titel: Rätselhafte Umarmung
Autoren: Tami Hoag
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bedeutet.«
    »Ich kann Karate«, platzte Rachel heraus. Sie ging in Position, richtete sich auf und hielt die Hand vor sich hin, als wollte sie es mit Bruce Lee aufnehmen. Natürlich war der Versuch lächerlich. Im Vergleich zu Bryan Hennessy war sie eine Zwergin. Er gehörte zwar nicht zum Typ »plumper, halsloser Bodybuilder«, aber er war groß und athletisch gebaut; sie dagegen war gerade mal einen Meter siebzig groß und wog sechzig Kilo. Sie ahnte, daß sie den Größenunterschied mit ihrem Kampfgeist wettmachen musste .
    Bryan zog die Brauen hoch und sah sie aufrichtig interessiert an. »Karate? Ehrlich?«
    Jetzt war kaum der richtige Zeitpunkt für übertriebene Offenherzigkeit, fand Rachel. Panisch suchte sie den Raum nach einem handlichen, scharfkantigen Gegenstand ab, mit dem sie sich verteidigen konnte.
    Ihre Mutter fiel ihr ein, und Reue durchzuckte sie. All die fahre, die sie vergeudet hatten! Und wofür? Erst jetzt kehrte sie zu ihrer Mutter zurück, in der Hoffnung, daß Addie und sie ihre Beziehung noch einmal kitten konnten. Was, wenn sie zu spät kam? Dr. Moore hatte ihr erklärt, daß Addie nicht mehr allein leben durfte, daß ihre Mutter in ihrer Krankheit wichtige Dinge vergaß, wie den Ofen auszuschalten und keine Fremden ins Haus zu lassen. Hatte ihre Mutter diesen Mann in ihr Haus gelassen, weil sie ihn für einen Freund gehalten hatte? Das war durchaus möglich.
    Auf der Fahrt von Nebraska nach Kalifornien hatte Rachel darüber nachgedacht, wieviel Zeit ihr wohl mit ihrer Mutter verbleiben würde - der Mutter, die sie kannte und liebte, nicht mit einer geistesabwesenden Fremden, die im Körper ihrer Mutter lebte. Und sie hatte sich geschworen, das Beste daraus zu machen. Vielleicht hatte man ihnen diese Zeit schon gestohlen. Der Gedanke erfüllte sie mit einem fast unerträglichen Gefühl von Verlust.
    »Rachel«, sagte er unvermittelt.
    Sie riss die Augen auf, als sie ihren Namen hörte. Die Stimme des Fremden klang rau und warm, aber daß er ihren Namen kannte, jagte ihr einen Schauer über den Rücken.
    Bryan nickte entschieden. »Sie sind Rachel Lindquist. Sie sind Addies Tochter. Ich hätte Sie gleich erkennen müssen. Sie sehen Ihrer Mutter sehr ähnlich.«
    Er sah sie durchdringend an; seine geraden Brauen hatten sich tief über die Augen gesenkt. In einem Anflug von Geringschätzung zogen sich seine Mundwinkel nach unten. Er mißbilligte nicht Rachel Lindquists Erscheinung oder sie selbst, sondern seine Reaktion auf beides. Vor ihm stand die Tochter, die ihre Mutter fünf Jahre lang kein einziges Mal besucht hatte, jenes Mädchen, über dessen Undankbarkeit sich Addie immer wieder ausgelassen hatte. Dies war die junge Frau, die mit einem Liedermacher durchgebrannt war und die er für selbstsüchtig und lieblos hielt. Doch er fühlte sich unwiderstehlich zu ihr hingezogen.
    Dieses warme kribbelnde Gefühl tief in seiner Magengrube war eine unangenehme Überraschung. Er hatte es schon sehr lange nicht mehr gespürt, aber er war zu sehr Mann, um es nicht zu erkennen - es war Begierde. Der primitive Mann in ihm reagierte auf eine hübsche Frau, und das missfiel ihm. Vor allem missfiel ihm, daß ausgerechnet sie dieses schlafende Bedürfnis in ihm geweckt hatte.
    »Sie haben sich also doch entschlossen, heimzukommen«, sagte er kalt, während er versuchte, emotional wie körperlich Distanz zu halten.
    Rachel zwang sich, ruhig stehenzubleiben, während Bryan Hennessy sie mit Blicken durchbohrte. Er machte einen Schritt zurück und dann nach links, so daß das Licht aus dem alten Kronleuchter auf sein Gesicht fiel. Er sah aus, als wäre er eben aus dem Tiefschlaf gerissen worden. Die Augen hinter den Brillengläsern waren geschwollen und blutunterlaufen, sahen aber nicht wirklich gefährlich aus. Er sah vor allem verärgert aus. Und männlich. Er sah wirklich ausgesprochen männlich aus mit seinem zerzausten Haar und den unrasierten Wangen: groß und düster und sexy.
    In der plötzlichen Stille hallten unausgesprochene Botschaften wider, Botschaften, die Rachel weder hören noch verstehen wollte. Trotzdem fühlte sie ein eigenartiges Flattern tief in ihrem Bauch, und sie legte sich die Hand auf den Magen, als könnte sie das Gefühl dadurch unterdrücken. Wahrscheinlich war es bloß Hunger. Sie hatte den ganzen Tag über kaum etwas gegessen.
    Sie riss den Blick von Bryan Hennessy los und zwang sich, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Was sie empfand, war tatsächlich
    Hunger, der sich
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