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Rächende Geister

Rächende Geister

Titel: Rächende Geister
Autoren: Agatha Christie
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Ich kann selten ausruhen, ich muss unablässig für meine Familie tätig sein, obwohl sie mir wenig Dank dafür weiß. Ich habe ernsthaft mit dir zu reden. Weil ich mich auf deine Ergebenheit verlassen kann, vertraue ich dir Nofret an. Behüte sie gut – sie ist mir sehr teuer.«
    »Wer dir teuer ist, Herr, der ist auch mir teuer«, versicherte Henet nachdrücklich. Sie wandte sich Nofret zu, die sie unter gesenkten Lidern hervor betrachtete. »Du bist allzu schön, Nofret, das ist das Schlimme. Darum sind die andern neidisch. Aber ich will für dich sorgen; ich werde dir alles hinterbringen, was sie tun und sagen. Verlass dich auf mich!«
    Ein Lächeln umspielte Nofrets Lippen.
    »Ich verstehe dich, Henet. Ich glaube, ich kann mich auf dich verlassen.«
    Imhotep räusperte sich.
    »Dann wäre also alles geregelt. Organisation war von jeher meine Stärke.«
    Ein trockenes Lachen ertönte, und Imhotep fuhr mit einem Ruck herum. Seine Mutter stand in der Tür. Sie stützte sich auf einen Stock und sah ausgetrockneter und boshafter aus denn je.
    »Was für einen wunderbaren Sohn ich doch habe!«, bemerkte sie.
    »Ich darf mich nicht aufhalten… muss Hori noch Anweisungen geben…«
    Ohne seine Mutter anzusehen, eilte Imhotep hinaus.
    Esa machte Henet gebieterisch ein Zeichen, worauf diese folgsam aus dem Zimmer glitt.
    Nofret hatte sich erhoben. Sie und Esa musterten sich.
    »Mein Sohn lässt dich also hier zurück. Du würdest besser mit ihm gehen, Nofret.«
    »Er wünscht, dass ich hier bleibe«, antwortete Nofret mit sanfter, unterwürfiger Stimme.
    Esa lachte schrill.
    »Es wäre besser, wenn du fortgingst! Und warum willst du nicht fort? Ich verstehe dich nicht. Was bietet sich dir hier? Du hast in den Städten gelebt, hast vielleicht viele Reisen gemacht. Warum wählst du die Langeweile unter Menschen, die – ich spreche offen – dich nicht lieben?«
    »Du hast also etwas gegen mich?«
    Esa schüttelte den Kopf.
    »Nein, ich habe nichts gegen dich. Ich bin alt, und wenn ich auch keine guten Augen mehr habe, so kann ich doch noch Schönheit sehen und mich daran erfreuen. Du bist schön, Nofret, und dein Anblick erfreut meine alten Augen. Um deiner Schönheit willen wünsche ich dir Gutes. Deshalb warne ich dich. Zieh mit meinem Sohn in den Norden.«
    Nofret wiederholte: »Er wünscht, dass ich hier bleibe.« In ihrem unterwürfigen Ton schwang jetzt unverkennbar Spott.
    Esa erwiderte scharf: »Du willst hier bleiben. Was für einen Zweck verfolgst du damit? Nun gut, handle, wie du magst. Aber nimm dich in Acht. Sei nicht herausfordernd, und vertraue niemand.«
    Unvermittelt drehte sie sich um und ging hinaus.
    Nofret stand ganz still. Langsam verzogen sich ihre Lippen zu einem katzenhaften Lächeln.

6
    Erster Monat des Winters – 4. Tag
     
    R enisenb hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, fast jeden Tag einmal zum Grab hinaufzugehen. Manchmal waren Yahmose und Hori dort zusammen, manchmal traf sie Hori allein, bisweilen war niemand dort, aber stets fühlte Renisenb sich erleichtert und voller Frieden, als wäre sie etwas Unbenennbarem entronnen. Am meisten freute sie sich, wenn sie Hori allein vorfand. Er empfing sie mit Würde und ohne Neugier, so dass sie sich in seiner Nähe wohl fühlte. Sie saß immer im Schatten des Eingangs zur Felsenkammer, schlug die Hände um das eine hoch gezogene Knie und schaute über den grünen Gürtel der Pflanzungen auf den blass schimmernden Nil und die dahinter verschwimmende Ferne.
    Das erste Mal war sie hierher geflohen, um einer Frauenwelt zu entrinnen, die sie nicht zu vertragen vermochte. Auch jetzt hegte sie noch oft den Wunsch zu fliehen, aber dieses Verlangen beruhte nicht nur auf der Auflehnung gegen das häusliche Dasein, sondern auf einem dumpfen Bangen.
    Eines Tages sagte sie zu Hori: »Ich habe Angst…«
    »Warum hast du Angst, Renisenb?«
    Er sah sie ernst an.
    »Weißt du noch, wie du mir einmal von den beiden Übeln sprachst, von dem einen, das von außen, und dem andern, das von innen kommt?«
    Hori nickte.
    »Damals meintest du Früchte und Getreide, wie du mir erklärtest. Aber ich habe darüber nachgedacht – mit den Menschen verhält es sich ebenso.«
    »Hast du das also herausgefunden? Du hast Recht, Renisenb.«
    Sie bemerkte schroff: »Es vollzieht sich dort unten im Hause. Das Übel ist gekommen – von außen. Und ich weiß, wer es gebracht hat. Nofret.«
    »Glaubst du?«, erwiderte Hori langsam.
    »Ja, ja«, beharrte Renisenb heftig. »Früher
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