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Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Titel: Radio Miracoli und andere italienische Wunder
Autoren: Fabio Bartolomei
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Ich beiße die Zähne zusammen, ich schreie, aber niemand nimmt Notiz von mir. Mein Gebrüll geht unter im allgemeinen Stöhnen. Ich kann nicht mehr schieben. Die Giulia bewegt sich nur noch zentimeterweise, und das ist wahrscheinlich einzig und allein Abus wütender Entschlossenheit zu verdanken. Also zapfe auch ich meine letzten Reserven an, mobilisiere meine ganze Wut, und zwinge mich, wenigstens ein Zurückrutschen der Giulia zu verhindern. Doch dann spüre ich, wie mir der Wagen entgleitet. Meine tauben Arme verweigern endgültig ihren Dienst, und ich stürze zu Boden, mit dem Gesicht voran.
    »Nein … nein«, stöhne ich mit letzter Kraft.
    Mein Hals tut so weh, dass ich meinen Kopf nicht drehen kann. Ich höre nur noch das Keuchen der anderen, und dann verstummt plötzlich der Motor des Renaults.
    »Nein, was? Sie steht da wie eine Eins, nur die Reifen sind ein bisschen platt«, ertönt Sergios Stimme.
    Mit einem lauten Knacken meines Halswirbels hebe ich den Kopf hoch. Vor mir auf der Wiese steht die Giulia. Ein wunderbarer Anblick.
    Abu hat sich danach sofort auf den Weg ins Dorf gemacht. Er solle gut auf sich aufpassen, haben wir ihn ermahnt, und uns sofort Bescheid geben, wie es Alex geht. Außerdem müsse er auf jeden Fall den Kontakt zu Vito halten. Und wir haben uns bei ihm bedankt, voller Scham über die Dürftigkeit unserer Geste. Nachdem wir den Renault auf den Hof gestellt und alle Reifenabdrücke auf dem Rasen haben verschwinden lassen, bleiben wir noch einen Augenblick, um Abschied zu nehmen von unserem Landhotel. Voller Stolz auf die Arbeit, die wir geleistet haben, betrachten wir es ein letztes Mal.
    »Euren Agriturismo könnt ihr vergessen. Sobald Franco und die Jungen erzählt haben, was passiert ist, werden sie kommen und alles abfackeln«, erklärt Vito.
    »Trotz der vielen Polizisten, die momentan hier in der Gegend sind?«, wende ich ein.
    »Ihr wisst doch, wie das ist. Ein paar Wochen lang kennt man kein anderes Gesprächsthema, dann wird’s langweilig, andere Dinge werden interessanter, und keiner schert sich mehr um das Anwesen hier.«
    Sergio kehrt noch einmal ins Haus zurück. Nach wenigen Minuten kommt er mit der Holzkassette in der Hand wieder heraus.
    »Vito, hier drin sind die Handys und das Geld der beiden Jungen … Entscheide du, was damit geschehen soll. Wenn du willst, kommen wir heute Abend zurück und nehmen dich mit«, sagt er.
    »Ich rühre mich erst mal nicht von der Stelle. Wenn ich hierbleibe, gibt es vielleicht eine winzige Chance, das Haus zu retten.«
    Ich werfe ihm einen hoffnungsvollen Blick zu. In unserem Landhotel steckt schließlich auch die Arbeit von Samuel und Alex.
    »Es ist immer eine Frage der Ehre. Sollte es sich herumsprechen, dass ihr mehrere Angehörige der Camorra entführt und gefangen gehalten habt, dann müssen die Bosse ein starkes Signal setzen. Meiner Meinung nach ist es deshalb ganz wichtig, dass diese Nachricht nicht nach außen durchsickert. Wie steht die Familie denn da, wenn publik wird, dass vier Schwuchteln es geschafft haben, vier Ehrenmänner wegzusperren?«
    »Schwuchteln? Wir? Was soll das jetzt wieder heißen?«, fragt Fausto.
    »Ja, wisst ihr das denn nicht? Im Dorf nennen sie euch nur die vier Schwuchteln. Vier Männer allein in einem Haus … Was habt ihr denn erwartet?«
    »Und was ist mit Elisa …«, wendet Claudio ein.
    »Aber sie ist erst später gekommen. Da hattet ihr euren Ruf schon weg.«
    Wir laden das Gepäck ein und schieben den Wagen auf die Schotterstraße. Bei dem leichten Gefälle nehmen wir sofort Fahrt auf. Rasch springen wir ins Auto und quetschen uns auf die Sitze. Als Sergio in den zweiten Gang schaltet, geht ein kurzer Ruck durch die Giulia. Der Motor röhrt, und gleichzeitig erklingen schluchzende Geigen.
    Vorsichtig umfahren wir jedes einzelne Schlagloch. Dann drehen wir uns ein letztes Mal zu dem Haus um. Mittlerweile hat sich eine Flöte zu den Geigen gesellt. Ich kenne dieses Musikstück. Natürlich kenne ich es. Rasch kurbele ich das Seitenfenster herunter, schiebe meinen Kopf hinaus und fuchtele mit dem Zeigefinger in der Luft herum.
    »Blavet! Konzert in a-Moll!«, rufe ich Vito zu.
    Der Alte lächelt und erwidert mein Gefuchtel, als würde auch er die Musik hören. Und natürlich hört er sie.

Claudio
    Noch nie ist ein Freund von mir durch Gewalt ums Leben gekommen. Einmal habe ich das Foto eines Klassenkameraden aus der Mittelstufe in einer Zeitung gesehen. Er war unter den Todesopfern eines
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