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Radikal führen

Radikal führen

Titel: Radikal führen
Autoren: Reinhard K. Sprenger
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war, nun aber sichtbar wurde wie eine bewohnbare Insel in einem Meer der Unbewohnbarkeit.
    Der zweite Grund liegt in der Tatsache, dass es für Führung kaum ein Set festgelegter Verfahrensweisen gibt. Anders als in der Medizin oder bei der Tätigkeit eines Ingenieurs gibt es wenig kodifiziertes Wissen, wenig Regeln und eben keine Gesetzmäßigkeiten, die allgemeine Gültigkeit beanspruchen könnten. Deshalb kann bei der Führung auch jeder mitreden.
    Der dritte Grund ist: Führung ist immer schon sozial eingebunden und konstituiert sich in der Begegnung mit anderen. Sie kann also ihre Identität nicht aus eigenen Mitteln gewinnen (etwa qua Anspruch, »natürlicher« Autorität, Positionsautorität oder Training), sondern bleibt auf die Bestätigung durch andere angewiesen. Das heißt: Führung, was immer Sie darunter verstehen, muss von anderen anerkannt werden, sonst existiert sie nicht. Diese Anerkennung ist abhängig von dem,
was überhaupt beobachtet werden kann,
was davon tatsächlich beobachtet wird,
wer da wen beobachtet und
welche Beziehung das Beobachtete zum Beobachter hat.
    Die Interpretationen können sehr weit auseinanderliegen. Der eine Beobachter kann eine Handlung für aktive Führung halten, was einem anderen eher als Passivität erscheint und einem dritten vielleicht gar nicht auffällt. Wie oben gesagt: Führung ist ein Echo Ihres Handelns – andere halten das, was Sie tun,für Führung. Für wieder andere rennen Sie bloß herum und bringen alle durcheinander.
    Die Anerkennung von Führung hat in hierarchischen Systemen zwei Seiten: hierarchisch »oben« und »unten«. Und da kann »oben« etwas anderes beobachten als »unten«. Bleiben wir zunächst bei »hierarchisch oben«. Es gibt nachweislich etliche Menschen, die ausgeprägte Führungseigenschaften aufweisen, jedoch keine Führungskräfte geworden sind. Aus irgendeinem Grunde wurden sie übersehen, übergangen, passten nicht zur Linie, waren gerade nicht zur Stelle oder als Sachbearbeiter unabkömmlich. Stellt man also Ihnen die Frage »Warum wurden Sie Führungskraft?«, dann mögen Sie mit Recht auf Ihr Talent verweisen. Eine nüchterne Antwort könnte aber lauten: Weil Führung mit dem Finger auf Sie gezeigt hat! Weil eine hierarchisch höher gestellte Führungskraft Sie für fähig hielt. Das geht meist nicht sehr wissenschaftlich zu, auch oft nicht fair, schon gar nicht »objektiv« – aber das System will es so. Und eine bessere Alternative ist weit und breit nicht zu sehen. Führung ist mithin das, was Führung als Führung definiert.
    Für Karriereorientierte ergibt sich daraus die Frage: Von wem werde ich beobachtet? Und in Bezug auf was?
    Wenn nun »Hierarchisch oben« sagt: »Sie sind jetzt Führungskraft!« – sind Sie dann eine? Formal ja, etwa im Sinne eines verwaltungstechnisch »Vorgesetzten«, mit Orden und Ehrenzeichen, disziplinarischer Gewalt und meist höherem Gehalt. Und Führung wird ja oft vorrangig als Ausübung formaler Autorität verstanden. Aber formale Autorität ist als Machtquelle sehr begrenzt. Nicht, dass jemand offen opponiert. Das geschieht selten. Die formale (und damit angemaßte) Positionsautorität wird vielmehr leise von den Mitarbeitern ausgebremst. Sie lassen die Impulse ins Leere laufen, lassen Initiativen verebben. Und ein Stein im Sumpf wirft bekanntlich keine Ringe. Wenn Führung also etwas bewirken will, dann ist sie von der Zustimmung der Mitarbeiter abhängig.
Wechselseitige Abhängigkeit
    Das hat der Philosoph Friedrich Hegel mit dem Gleichnis vom Herrn und Knecht in unvergängliche Form gegossen. Wir können die philosophische Grundproblematik hier beiseitelassen und uns nur für einen Aspekt interessieren: Wodurch wird der Herr zum Herrn? Dadurch, dass er vom Knecht anerkannt wird! Er ist auf die Anerkennung seiner Herrschaft durch den Knecht angewiesen – sein Status ist vom Knecht abgeleitet. Ohne Knecht ist er kein Herr. Der Mitarbeiter hingegen ist und bleibt Mitarbeiter auch ohne Führungskraft. Aber eine Führungskraft ohne Mitarbeiter gibt es nicht. Der Mitarbeiter ist die Bedingung ihrer Existenz.
    Und wodurch wird der Knecht zum Knecht? Dadurch, dass er sich dem Herrn unterwirft. Der Herr ist nur Herr, indem der Knecht ihn als Herrn anerkennt; und der Knecht ist nur Knecht, weil der Herr ihn als Knecht anerkennt. Wir sind also in unseren Rollen, so Hegels Perspektive, wechselseitig abhängig von der Anerkennung durch andere. Das heißt: In jeder Führungsaufgabe sind wir
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