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Radikal führen

Radikal führen

Titel: Radikal führen
Autoren: Reinhard K. Sprenger
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In der Nähe mancher Menschen blühen Sie auf; in der Nähe anderer verkümmern Sie. Insofern griffen personenzentrische Konzepte schon immer zu kurz.
    Zweitens, und weit wichtiger: Vollständig ausgeblendet blieb der institutionelle Rahmen eines Unternehmens, innerhalb dessen sich die Interaktionen vollziehen. Und dieser Rahmen prägt das Verhalten weit mehr, als die meisten Führungskonzeptionen anzuerkennen bereit waren. Führung »passiert« eben auch unpersönlich.
    Die folgende Grafik fasst das bisher Gesagte zusammen:
    [Bild vergrößern]
Institution und Individuum
    Wenn wir über die Einflüsse nachdenken, die menschliches Führungsverhalten prägen, können wir mithin zwei Sichtweisen unterscheiden. Die eine personalisiert das Verhalten; sie fokussiert Charaktereigenschaften und Fähigkeiten von Einzelmenschen. Nach diesem Entwurf sollen Führungskräfte vor allem starke Persönlichkeiten sein. Verantwortungsbewusst sollen sie sein, visionär und emotional intelligent (was immer das sei). Das ist die Stunde der Psychologie. Sie favorisiert eine eigenschaftstheoretische Sichtweise, die auf »gute Leute« blickt, ihre Einstellungen, Fähigkeiten und Talente. Richtige und falsche Entscheidungen resultieren dann aus der Kompetenz des Individuums, seinem Können und seinem Versagen. Es ist ein heldenhaftes Management-Konzept im besten Sinne, eine heroische Art des Führens, der Hitzepol des Führungsdenkens. Er oder sie führt!
    Fragt man dann, was das Handeln der einzelnen Führungskraft prägt, so stößt man auf einen bunten Strauß psychodynamischer Erklärungen, die sich lebensgeschichtlich verdichten und zur Führungspersönlichkeit summieren. Das individuelle Führungsverständnis entwickelt sich ja auch zweifellos über familiäre Erfahrungen, wie zum Beispiel der Vater und die Mutter »führten«, auch über Sporttrainer oder Lehrer. Später dann die Erfahrung mit dem ersten Chef, die oft ein ganzes Berufsleben lang die positive oder negative Blaupause für das eigene Führungshandeln bildet. Hinzu kommen kulturelle Prägungen, die zum Beispiel Führung in Europa und Asien an wichtigen Punkten unterscheiden.
    Führung ist in diesem Entwurf ein »Von-innen-nach-außen-Handeln«. Und wenn Sie wissen wollen, warum Sie so handeln, wie Sie handeln, dann gehen Sie in die Innenschau. Und sollte jemand an Ihnen eine Führungsschwäche entdeckt haben, dann leuchten Sie tief hinein in Ihre persönliche Geschichte, um eine Stellschraube zu finden, mit der Sie dieses Defizit korrigieren können. So weit, so bekannt.
    Eine andere Sichtweise bietet die Systemtheorie. Sie erinnert daran, dass wir Menschen nicht nur agieren, sondern auch reagieren. Wir treffen auf Vorhandenes und passen uns an. Die Systemtheorie beleuchtet daher nicht isolierte Individuen, sondern das, was »zwischen« ihnen stattfindet. Sie spekuliert nicht über das Innenleben des Menschen, sondern beobachtet daskonkrete Verhalten. Deshalb fragt sie nicht »Warum?«, sondern nur »Was?«
    Dieser Entwurf interessiert sich besonders für die Prägekraft von Institutionen. Er schaut zum Beispiel auf die Systemeigenschaften unserer Wirtschaftsordnung und der Unternehmensorganisation. Entsprechend ist das Verhalten eines Menschen weniger »von innen« heraus bestimmt, sondern »von außen« angeregt. So zum Beispiel durch die Strukturen eines Unternehmens, die ein bestimmtes Verhalten der Menschen wahrscheinlich oder unwahrscheinlich machen – denken Sie nur an Richtlinien oder Büro-Architekturen.
    Auch Führungskräfte sind keine frei schwebenden Charaktere, sondern eingebunden in die strukturelle Verfasstheit eines Unternehmens. Zwar entscheiden sie zwischen verfügbaren Alternativen, aber die soziale Realität des Führens beinhaltet zahlreiche Vorentscheidungen, die ihr Verhalten strukturieren. Der Rahmen ihrer Möglichkeiten ist durch Organisation, Prozesse und Abläufe bisweilen sogar eng gesteckt. Diese Prozesse wiederum werden als »Kommunikationen« gedacht, die bestimmte Botschaften aussenden und zur Anpassung auffordern. Das ist das, was man in der Pädagogik mit dem Begriff des »heimlichen Lehrplans« beschreibt (und damit den Kontrollapparat aus Lob und Tadel, Zensierung, Prüfung, Versetzung oder Nichtversetzung meint). Die Strukturen des Systems können so mächtig sein, dass sie die Bemühungen einer einzelnen Führungskraft nahezu aussichtslos machen. Gleichgültig, wie sie denkt und handelt, gleichgültig, welches Ziel sie sich
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