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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen
Autoren: Joe Abercrombie
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sicher.
    Jeden Morgen, wenn das erste Licht in die Zelle kroch und Espe erwachte, dann fragte er sich, ob dies der Morgen sein würde, an dem man ihn aufknüpfte.
    Manchmal wünschte er sich, Monza nicht angegriffen zu haben. Aber nur, weil die Dinge sich danach eben so entwickelt hatten und nicht anders. Nicht, weil er irgendetwas von dem, was er getan hatte, bedauerte. Sein Vater hätte seine Taten vielleicht nicht gutgeheißen. Sein Bruder hätte ihn wahrscheinlich verächtlich angesehen und gesagt, er habe auch nichts Besseres von ihm erwartet. Zweifelsohne hätte Rudd Dreibaum seinen Kopf geschüttelt und gesagt, dass diese Sache ihre gerechte Strafe finden musste. Aber Dreibaum war tot, und die Gerechtigkeit mit ihm. Espes Bruder war ein Dreckskerl mit Heldengesicht gewesen, und seine abfälligen Bemerkungen verletzten ihn nicht mehr. Sein Vater war wieder zu Schlamm geworden und hatte es ihm überlassen, seine eigene Art zu finden, wie er die Dinge erledigte. So viel für die guten Männer, und für die richtigen Taten.
    Manchmal fragte er sich, ob Carlot dan Eider es geschafft hatte, aus dem Schlamassel zu entkommen, in das sie sein Scheitern gestürzt haben musste, oder ob der Krüppel sie erwischt hatte. Er fragte sich, ob es Monza gelungen war, Orso zu töten, und ob sich ihre Hoffnungen mit dieser Tat erfüllt hatten. Er fragte sich, wer der Drecksack war, der aus dem Nichts erschienen war und ihn quer durch den Saal geschleudert hatte. Sah aber nicht so aus, als würde er je die Antworten darauf erfahren. Aber so ist das Leben nun mal. Man bekam nicht immer alle Antworten.
    Er stand oben am Fenster, als er Schlüsselklappern im Flur vor seiner Zelle hörte, und beinahe lächelte er erleichtert in dem Wissen, dass nun die Zeit gekommen war. Er sprang von dem Blecheimer, das rechte Bein noch immer etwas steif von dem Stich, den Freundlich ihm mit seinem Messer versetzt hatte, und richtete sich hoch vor der Gittertür auf.
    Er hatte nicht erwartet, dass sie selbst kommen würde, aber er war froh, dass es so war. Froh über die Möglichkeit, ihr noch einmal ins Auge zu sehen, auch wenn der Schließer und ein halbes Dutzend Leibwächter dabei waren. Sie sah gut aus, daran bestand kein Zweifel, nicht mehr so ausgemergelt wie früher, und auch nicht mehr so hart. Sauber, glatt, geschniegelt und reich. Wie eine Königin. Kaum zu glauben, dass sie jemals etwas mit ihm hatte zu tun haben wollen.
    »Na, nun sieh sich einer das an«, sagte er. »Großherzogin Monzcarro. Wie, zur Hölle, ist es dir gelungen, so gut aus diesem ganzen Mist rauszukommen?«
    »Glück.«
    »So ist es wohl. Hatte selbst leider nie so viel.« Der Schließer öffnete das Tor und stieß es quietschend auf. Zwei Leibwächter kamen herein und schlugen Handschellen um Espes Handgelenke. Dabei sah er wenig Sinn darin, jetzt einen Kampf zu beginnen. Wäre doch nur für alle peinlich gewesen. Sie zerrten ihn hinaus in den Korridor, bis er ihr gegenüberstand.
    »Wir sind einen verdammt weiten Weg gekommen, was, Monza, du und ich?«
    »Einen verdammt weiten Weg«, nickte sie. »Du hast dich dabei verloren, Espe.«
    »Nein. Ich habe mich gefunden. Willst du mich jetzt aufhängen?« Er empfand bei dem Gedanken wenig Freude, aber auch wenig Bedauern. Besser, als in dieser Zelle zu verrotten, nahm er an.
    Sie sah ihn lange an. Blaue Augen, und kalt. Sah ihn an wie an jenem ersten Tag, da sie sich begegnet waren. Als ob nichts, was er tun würde, sie jemals überraschen könnte. »Nein.«
    »Hä?« Das hatte er nicht erwartet. Fast empfand er Enttäuschung. »Was dann?«
    »Du kannst gehen.«
    Er blinzelte. »Ich kann was?«
    »Geh. Du bist frei.«
    »Dachte nicht, dass ich dir noch was bedeute.«
    »Wer sagt, dass das je der Fall war? Das hier tue ich für mich, nicht für dich. Ich hatte Rache genug.«
    Espe schnaubte. »Na, wer hätte das gedacht? Die Schlächterin von Caprile. Die Schlange von Talins. Da war sie doch tief innen drin schon immer eine Gute. Ich dachte, du hättest keinen Sinn dafür, das Richtige zu tun. Ich dachte, Erbarmen und Feigheit seien dasselbe.«
    »Dann darfst du mich gern einen Feigling nennen. Damit kann ich leben. Komm nur nie wieder hierher zurück. Meine Feigheit hat ihre Grenzen.« Sie zog sich den Ring vom Finger. Den Ring mit dem großen, blutroten Rubin. Sie warf ihn in das dreckige Stroh zu seinen Füßen. »Nimm ihn.«
    »In Ordnung.« Er bückte sich und hob das Schmuckstück aus dem Dreck, wischte es an seinem
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