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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen
Autoren: Joe Abercrombie
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Mutter ihr Kind in den Armen hielt. Nie wieder würde jeder Tag, jeder Monat, jedes Jahr in kleine, hübsche Päckchen unterteilt werden. Die große Uhr hatte aufgehört zu ticken.
    »Alles verändert sich«, flüsterte Freundlich.
    Er spürte Coscas Hand auf der Schulter. »Die Welt verändert sich ständig, mein Freund. Wir alle würden gern zurückgehen, aber die Vergangenheit ist vorbei. Wir müssen nach vorn blicken. Wir müssen uns selbst ändern, so schmerzhaft es auch sein mag, oder wir bleiben zurück.«
    So war es wohl. Freundlich wandte der Sicherheit den Rücken und stieg benommen wieder auf sein Pferd. »Nach vorn blicken.« Aber wohin? Zu den unendlichen Möglichkeiten? Er fühlte, wie Panik ihn ergriff. »Nach vorn hängt immer davon ab, in welche Richtung man sieht. Wohin sollte ich mich nun wenden?«
    Cosca grinste, während er sein eigenes Reittier umwandte. »Diese Wahl ist das, worum es im Leben geht. Aber dürfte ich einen Vorschlag machen?«
    »Bitte.«
    »Ich werde die Tausend Klingen – oder zumindest jene, die sich nicht mit der Beute von Fontezarmo zur Ruhe gesetzt oder eine ordentliche Anstellung im Heer der Herzogin Monzcarro gefunden haben – nach Visserine führen, um meine Ansprüche auf Saliers alten Thron durchzusetzen.« Er schraubte den Verschluss des Flachmanns auf. »Meine völlig berechtigten Ansprüche.« Er nahm einen Schluck und rülpste, und Freundlich schlug ein überwältigender Gestank von starkem Schnaps entgegen. »Ein Titel, den mir immerhin der König von Styrien versprochen hat. In der Stadt herrscht Chaos, und die Drecksäcke dort brauchen jemanden, der ihnen die Richtung vorgibt.«
    »Dich?«
    »Und dich, mein Freund! Nichts ist für den Regenten einer großen Stadt wichtiger als ein ehrlicher Mann, der zählen kann.«
    Freundlich warf einen letzten sehnsüchtigen Blick zurück, während das Torhaus schon hinter den Bäumen verschwand. »Vielleicht werden sie es eines Tages wieder aufmachen.«
    »Vielleicht werden sie das. Aber in der Zwischenzeit kann ich deine hervorragenden Fähigkeiten in Visserine bestens gebrauchen. Ich habe völlig berechtigte Ansprüche. Ich wurde in der Stadt geboren, musst du wissen. Es wird dort Arbeit geben. Viel … Arbeit.«
    Freundlich warf Cosca einen misstrauischen Seitenblick zu. »Bist du betrunken?«
    »Ganz irrsinnig, mein Freund, ganz irrsinnig. Das hier ist gutes Zeug. Der gute, alte Traubengeist.« Cosca nahm noch einen Schluck und schmatzte vernehmlich. »Veränderungen, Freundlich … es ist so eine Sache damit. Manchmal ändert sich ein Mensch zum Besseren. Manchmal ändert sich ein Mensch zum Schlechteren. Und oft, sehr oft, sobald er die Zeit und die Möglichkeit bekommt …« Er wedelte kurz mit seinem Flachmann, dann zuckte er die Achseln. »Dann macht er alle Änderungen wieder rückgängig.«

ENDE GUT, ALLES GUT
    Ein paar Tage, nachdem man ihn hier eingebuchtet hatte, wurde draußen ein Galgen errichtet. Er konnte ihn von dem kleinen Fenster seiner Zelle aus sehen, wenn er auf den Eimer stieg und sein Gesicht gegen die Gitterstäbe presste. Man mochte sich vielleicht fragen, wieso ein Gefangener sich so viel Mühe machen sollte, nur um sich selbst zu verhöhnen, aber irgendwie konnte er nicht anders. Vielleicht war das der Sinn und Zweck. Es war ein großes Podest aus Holz, mit einem Querbalken und vier hübschen Schlingen. Falltüren im Boden, so dass man nur einen Hebel umlegen musste, um vier Hälse gleichzeitig zu brechen, sie wie Zweige knacken zu lassen. Eine tolle Erfindung. Sie hatten Maschinen, um Saat auszubringen, Maschinen, um Papier zu bedrucken, und offenbar hatten sie auch Maschinen, um Leute umzubringen. Vielleicht war es das gewesen, was Morveer gemeint hatte, als er ihm vor vielen Monaten seinen langen Vortrag über die Segnungen der Wissenschaft gehalten hatte.
    Sie hatten schon ein paar Männer gehängt, gleich nachdem die Festung gefallen war. Ein paar, die für Orso gearbeitet und wohl irgendwas angestellt hatten, wofür sich jemand rächen wollte. Auch ein paar Jungs von den Tausend Klingen, und die mussten sich wirklich auf dunkles Gebiet vorgewagt haben, denn während der Erstürmung einer Stadt gab es nicht allzu viele Regeln, die man brechen konnte. Aber nun hatte schon seit langem niemand mehr gebaumelt. Seit sieben Wochen, oder vielleicht auch acht. Vielleicht hätte er die Tage zählen sollen, aber welchen Unterschied hätte das gemacht? Es war unvermeidlich, dessen war er sich
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