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Rachedurst

Rachedurst

Titel: Rachedurst
Autoren: J Patterson
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Bis dahin alles kein Problem. Die wahre Schwierigkeit bestand darin, das Gleichgewicht auf dem Zug zu halten, der bei Höchstgeschwindigkeit über das Gleis ruckelte. Doch bisher schaffte Keller es. So weit, so gut.
    Er griff zur Brechstange. »Rohe Gewalt«, murmelte er in der Hoffnung, genügend Schmackes zu haben.
    Tja, der Techniker hatte keine Witze gemacht. Der Deckel saß bombenfest auf dem Dach und rührte sich nicht vom Fleck. Keinen Zentimeter. Klemmte er?
    Vielleicht.
    Keller versuchte es erneut. Beinahe hörte er die Uhr in
seinem Kopf ticken, während er die Brechstange nach unten drückte.
    »Scheiße!«
    Der Deckel bewegte sich nicht. Keller stand vor einem Problem. Einem großen.
    Als er den Kopf wandte, kam ein noch größeres Problem auf ihn zu.
    Aus dem Augenwinkel heraus hatte er einen Lichtschimmer bemerkt – das Licht am Ende des Tunnels war in diesem Fall gleichbedeutend mit dem Ende des U-Bahn-Tunnels. So viel zu dem Spruch, dass einem immer was Gutes auf dem Weg begegnet. Der Techniker der Verkehrsbetriebe hatte vergessen, die Kleinigkeit namens Abstand zu erwähnen.
    Den gab es nämlich nicht.
    Die herannahende Ausfahrt des Tunnels schien nur ein paar Zentimeter höher zu sein als der Zug. Selbst wenn sich Keller fach hinlegte, würde es nicht reichen. Also entweder springen oder platsch!
    Oder so schnell wie möglich in diesen Zug steigen.
    Keller rutschte am Rand des Deckels entlang und drückte verzweifelt mit all seinem Gewicht auf die Brechstange, während das Tunnel-Ende immer näher rückte. Das Vibrieren des Zuges fühlte sich wie ein dauerhafter elektrischer Schock an, der Wind pfiff über seinen Körper und sein Gesicht und drückte die Schweißperlen von seiner Stirn wie Regen von einer Windschutzscheibe.
    »Komm schon, du Miststück!«, rief er dem Deckel zu. »Beweg deinen Arsch!«

95
    Die Zeit hatte keine Bedeutung  – und ich hatte keine Ahnung, wie viele Minuten, wie viele Sekunden bisher tatsächlich vergangen waren. Die Spätnachmittagssonne knallte mir ins Gesicht, als wir den Tunnel verließen. Ich hatte das Gefühl, wir würden von den Gleisen abheben.
    Torenzi hatte den Fahrer schroff »Gas geben« angewiesen, und genau das tat er wohl auch. Wenn man bedachte, dass dem armen Kerl eine Waffe an den Kopf gehalten wurde, konnte ich ihm seine anbiedernde Art nicht verdenken. Komisch, wie so was wirkt.
    Ich drückte Elizabeths Hand. »Bleib hinter mir«, füsterte ich und trat zwischen sie und Torenzi.
    Ich erwartete von dem Schwein nicht, dass er ein Pläuschchen mit mir hielt. Was auch immer er im Schilde führte, es beinhaltete nicht, mir davon zu erzählen. Er war gekommen, um mich zu töten, und der einzige Grund, warum er es noch nicht getan hatte, war, dass er sich nicht schnappen lassen wollte. Doch sterben sollte ich – weil ich einfach zu viel wusste.
    Ich konnte mir eigentlich nicht vorstellen, dass wir in einer Stadt in Westchester halten und wie Hans guck in die Luft aus dem Zug steigen würden. Agent Keller war sich dessen auch sicher gewesen. Trotzdem war er im Krankenhaus ab dem Moment, in dem Torenzi das Telefonat beendet hatte, alle Möglichkeiten durchgegangen und hatte die örtliche Polizei an jedem Bahnhof bis nach New Haven, dem Endbahnhof, Stellung beziehen lassen.

    »Nur für den Fall, dass Torenzi dumm ist«, hatte Keller gesagt.
    Doch das war er nicht, wie wir beide wussten. Er war dreister und viel schlauer, als ich gedacht hatte. Dies war mir schon früher bei den europäischen Profis aufgefallen. Sie arbeiten hart und lernen ihr Handwerk – das gilt offenbar auch für Auftragsmörder.
    Torenzi wandte sich weniger als eine Minute später an den Fahrer.
    »Zug anhalten«, befahl er. »Hier! Sofort!«
    Der Fahrer trat auf die Bremse wie … nun, wie jemand, dem eine Waffe an den Kopf gehalten wird.
    Die Räder kratzten über die Gleise wie tausend Fingernägel über eine Tafel. Ich wirbelte herum, um Elizabeth aufzufangen, die auf den Boden geschleudert wurde. Das ist nicht gut, wenn dir jemand eine Bombe umgeschnallt hat. Die ganze Zeit über konnte ich mich nur darauf konzentrieren, wie Elizabeth die Entführung überleben würde. Ich war der Grund dafür, dass sie hier war, hatte ihr aber bisher nicht helfen können.
    Torenzi hielt alle Trümpfe in der Hand. Die Waffe. Den Zünder. Einen Plan, um mich zu töten. Mir war nichts mehr geblieben. Außer der Hand eines verängstigten kleinen Mädchens.
    Beiderseits des Zuges erstreckten
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