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Rabenschwarz

Rabenschwarz

Titel: Rabenschwarz
Autoren: Ralf Kramp
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zwischen zwei Zigarrenzügen und drehte eilig den klobigen Schlüssel im alten Schloss der Sakristeitüre. »Warte einen Augenblick!«
    Richard Kley blieb stehen und setzte einen halbwegs freundlichen Gesichtsausdruck auf, als er dem Pastor entgegensah, der auf kurzen Beinen geschäftig angewackelt kam.
    »Ich dachte schon, du wärst längst wieder zu Hause.« Der Pastor spuckte ein Zigarrenbröckchen in den Kies und fuhr sich mit den wulstigen Fingern über die Lippen. »Warst noch in der Leichenhalle, stimmt’s?«
    Richard nickte zerknirscht und strich mit der Spitze seiner Schuhe sanft über ein Häuflein bunten Laubs auf dem Gehweg. »Als ich in Sydney abgeflogen bin, dachte ich noch, ich käme nur zu einer Beerdigung hierher. Heute ist alles anders.« In seine Stimme mischte sich ein zitternder Unterton.
    »So geht das, mein Junge.« Er blickte Richard unverwandt in die Augen. »Hättest sie gerne wiedergesehen, was?« Eine Antwort wartete er nicht ab. Die beiden Männer setzten sich gleichzeitig in Bewegung. Der Kies knirschte unter ihren Ledersohlen.
    »Den schwarzen Mantel hatte ich noch hier.« Richard schnüffelte an einem Ärmel. »Rosi hatte ihn im Schrank auf dem Speicher. Riecht scheußlich nach Mottenkugeln.«
    Der Pastor blies eine Qualmwolke in die klare Herbstluft. »Die Rosi hat sich in den letzten Wochen sehr um den ollen Päul gekümmert, wusstest du das?«
    »Hat sie mir am Telefon erzählt.«
    »Der alte Knacker war nicht mehr ganz richtig in der Birne.« Rövenstrunck tippte vielsagend mit dem Zeigefinger an die Stirne. Zigarrenasche rieselte auf sein Collarhemd. »All die Jahre da oben in seiner Hütte, das hat seine Gedanken ganz schön durcheinandergebracht. Und trotzdem: Er hat zwar viel Unfug gefaselt. Aber irgendwas war immer dran, wenn der alte Päul das Schandmaul aufgemacht hat.«
    »Als ich ihn zuletzt gesehen habe, da ging’s ihm noch ganz gut. Ich hatte immer den Eindruck, dass er ganz zufrieden da oben gehaust hat. Er hat mir immer gezeigt, wie man Elstern mit dem Luftgewehr kaltmacht, als ich noch klein war. ›Elstern‹, hat er immer gesagt, ›das ist ein echtes Drecksvolk. Die warten, bis andere sich den Arsch aufgerissen haben mit der Nestbauerei, und dann reißen sie sich den ganzen Kram unter den Nagel!‹ Genau das waren seine Worte.«
    »Erst zweiundsechzig Jahre war der Sauhund alt. Ich hätte ihn älter geschätzt.«
    »Ein richtiger Onkel war er eigentlich gar nicht. Nur irgendein Vetter zweiten Grades meiner Mutter. Aber immerhin der einzige Verwandte, den ich noch hatte.« Richard vergrub die Hände tief in den Taschen seines Mantels. Sie hatten die Treppe zur Hauptstraße erreicht. Pastor Rövenstrunck lehnte sich lässig und mit verschränkten Armen gegen das Bruchsteinmauerwerk der seitlichen Treppeneinfassung. »Erbst du was?«
    »Kann schon sein. Ein paar Kröten wird er gespart haben. Hat ja sparsam gelebt da oben.«
    »Ich meine von Rosi.«
    »Klar. Wir waren ja noch verheiratet. Das Haus gehört jetzt mir. Aber sonst ... Wenn ich es verkaufe, kann ich den Kredit mit Anstand tilgen, und das war’s. Dann geht’s wieder ab nach Sydney.«
    »Du willst wieder weg?«
    »Mal ehrlich, Herr Pastor: Vorher gab es nichts, was mich hierher zurückzog. Jetzt ... jetzt gibt es überhaupt nichts mehr.« Dann schüttelte er dem Pastor wortlos die Hand und begann, die Steinstufen hinabzuschreiten. Der Priester blickte ihm lächelnd nach. »Nach Australien«, rief er ihm hinterher, »da wollte ich immer mal hin. Ist da jetzt nicht Sommer?«
    Richard schickte ihm ein schweigendes Lächeln über die linke Schulter hinauf. Er winkte stumm.
    »Bevor du abreist, Junge, sag mir Bescheid! Ich muss dir unbedingt noch ein Glas Vierfruchtmarmelade mitgeben! So was kriegst du da unten bestimmt nicht!« Und leise murmelte er: »Noch ein Grund, nach Australien zu gehen.«
    * * *
    Es gab Tulpen in den verschiedensten Farben und Techniken. Es gab Treppen und Wolken in Öl, Kreide oder ausgeschnitten aus bunt lackiertem Kunststoff. Und es gab nackte Frauenkörper, die, mit Farbe bepinselt, als lebende Stempel benutzt, über überdimensionale Leinwände gekullert worden waren. Dieser Künstler Kruse aus Floisdorf schien ein sinnenfroher Mensch mit einem unerschütterlichen Hang zu weiblichen Rundungen und kraftvollen Farbnuancen zu sein, nur eines war er mit Sicherheit nicht: ein Maler, der auch nur annähernd den Hauch einer Chance hatte, jemals eines seiner Werke in Tante Hettis Villa
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