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Rabenschwarz

Rabenschwarz

Titel: Rabenschwarz
Autoren: Ralf Kramp
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nicht gebeichtet. Schade eigentlich.
    Als er auf die Türe zur Sakristei zuschritt, sah er in der Ferne, am anderen Ende des Friedhofs, den fetten Nücken, der mit seinem winzigen Bagger um ein halb ausgehobenes Grab herumkariolte. Morgen würde der olle Raben-Päul beerdigt, der vorgestern gestorben war. Unwillkürlich wandte er den Kopf nach oben und betrachtete interessiert den Flug mehrerer Krähen, die nervös um die Kirchturmspitze flatterten, mit der festen Absicht, das Nest eines Turmfalkenpärchens aufzubringen, das dieses sich dort oben gebaut hatte. Die Krähen krakeelten proletenhaft herum, und die Falken wehrten sich kampflustig und mit eiserner Entschlossenheit. So ging das Tag für Tag.
    Der Raben-Päul ist tot, dachte Rövenstrunck in stummer Zwiesprache mit den Krähen. Jetzt habt ihr freie Bahn. Der hätte euch schon den Garaus gemacht, der Raben-Päul.
    Er schloss die Sakristei auf und trat in den kühlen Raum, in dem es nach Kerzenwachs und altem Holz roch. Zwanzig Sekunden später stank es nach verbrannten Blättern. Pfarrer Rövenstrunck hatte es längst aufgegeben, seine Zigarren jedes Mal auszumachen, wenn er die Kirche betrat. Irgendwann hatte er es vergessen, später dann hatte er vergnügt schmunzelnd zur Kenntnis genommen, dass ihn nicht, wie zu erwarten, der Blitz getroffen hatte, und dann hatte er sich zurechtgelegt, dass im alten Israel sicher auch dauernd irgendetwas gepafft worden war und dass Christus sich – wer weiß? – vielleicht auch schon mal einen Zug aus der Wasserpfeife genehmigt hatte. Außerdem kokelte man in der Kirche ja auch mit Weihrauch rum, und bei der Papstwahl in Rom wurde jede Menge Rauch produziert. Zudem waren in Buchscheids Gotteshaus die Decken schon rußgeschwärzt. Zänkisch pustete er eine heftige Qualmwolke in die ungefähre Richtung des Marienaltars.
    Zwei Tote kurz nacheinander. »Sonndaachsleich määt de Kirchhoff reich«, murmelte er vor sich hin. Vielleicht wäre Rosi ja noch am Leben, wenn die olle Oma Friedrichs nicht übers Wochenende da gelegen hätte. Er grinste frech zum Kruzifix hinauf. »Schon in Ordnung. Purer Aberglaube! Ich weiß schon. Du holst dir deine Leute, wann immer du sie haben willst. Nimmst keine Rücksicht auf Sonntage, was?« Er schnaufte verächtlich und wackelte durch die Bankreihen zum hinteren Teil der Kirche. »Und warum, bitte schön, müssen deine armen Menschen dann am Sonntag plötzlich alles stehen und liegen lassen?«
    Das Kruzifix schwieg beharrlich. Das hier war kein Dörfchen in der Toskana, und er war nicht Don Camillo. Trotzdem war Pastor Rövenstrunck es nach all den Jahrzehnten manchmal leid, Tag für Tag die barschesten Beschwerden in die Stille der Kirche zu brummeln, während Christus dauerhaft stumm und mit leidendem Gesichtsausdruck all seinen Unmut über sich ergehen ließ. Manchmal wünschte sich Pastor Rövenstrunck ein tosendes Donnerwetter als Antwort auf seine unziemlichen Mosereien, vielleicht auch nur ein zaghaftes Widerwort. Aber nichts rührte sich.
    Er ließ sich in die letzte Bankreihe fallen. »Irgendwann werde ich wohl die Quittung kriegen«, dachte der böse, alte Pfarrer, »irgendwann.« Dann machte er sich daran, über die Abläufe der Beerdigungen nachzudenken. Über die von dem alten, versponnenen Zausel Paul, der seine Tage damit zugebracht hatte, schwarze Vögel auszurotten, und über die einer jungen Frau, deren Fehler es gewesen war, sich zum falschen Zeitpunkt mit den falschen Leuten zusammenzutun.
    * * *
    Zum Glück wusste der Fahrer des Taxis ganz genau, wo sich das   Hotel Eifelhöhe   befand. Herbie hatte keine Ahnung, wie lange es her sein mochte, dass er zuletzt hier oben in einer Gegend, die man die Mutscheid oder auch im Volksmund   de Mötsched   titulierte, gewesen war. Julius und er saßen diesmal nicht in einer dieser englischen Karossen, sondern wurden in einem Benz mit angenehmer Kurvenlage über die gut ausgebaute Straße von Bad Münstereifel in Richtung Schuld und, von dieser abbiegend, über nahezu kreislaufschädigende Serpentinen durch den Wald in einen abgelegenen Winkel des Münstereifeler Höhengebiets spediert.
    »Natürlich hätte ich auch über Buchscheid fahren können, aber hier rum ist es näher«, sagte der Taxichauffeur und neigte den Kopf halbwegs nach hinten. Auch er war ein anderer als am Vorabend. Herbie hatte bemerkt, wie er ungefähr auf der Höhe von Eicherscheid den Rückspiegel unmerklich verstellt hatte, sodass er Herbie beinahe
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