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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Gänge. Seine blauen Schwingen glitten durch die Luft, er war wie schwerelos… das Körpergefühl einer Schwalbe war atemberaubend. Man war so leicht... aber die Vogelgestalt konnte nichts daran ändern, wie schwer seine Gedanken waren. Er schloss die Augen und glitt immer tiefer. Schließlich stürzte er auf den glatten Steinboden, überschlug sich und blieb liegen. Korpus mein!
    Ihm entfuhr ein schmerzliches Stöhnen, nun, da er wieder stöhnen konnte. Langsam drehte er sich auf den Rücken und blickte zur Decke auf, die sich weit oben zu einem Halbkreis wölbte. In der Mitte war ein Glasfenster gleich einem milchweißen Auge, durch das ein schräger Lichtstrahl fiel. Tief liegende Wolken schnitten sich lautlos an den Türmen.
    War das Ritual wirklich erst zwölf Stunden her? Der Lyrian, der erwartungsvoll dem Fest der Wintersonnenwende entgegengefiebert hatte, der am Tag davor seinen drei Füchsen das Fell gebürstet und verträumt zu seinen Schwalben aufgesehen hatte - dieser Lyrian war gestorben.
    Bei allen Drachen, er hatte seinen Ottern Namen gegeben.
    Gequält kniff er die Augen zu, aber das konnte die Bilder nicht vertreiben.
    Erst Jiru, dann Mondgesicht, dann Bäckchen.
    Die Füchse hatten gefaucht und gewinselt, und die Schwalben hatten mit den Flügeln geschlagen, gebrochenes Entsetzen in den großen Otteraugen, sie wussten, was geschehen würde -
    Ganz still blieb er auf dem Boden liegen, während in ihm die vergangene Nacht erneut aufstieg, bitter und Übelkeit erregend wie Galle. Er konnte es nicht verdrängen, nicht wieder hinunterwürgen.
    Die Welt war fremder denn je, nun, da er sie kennengelernt hatte. War ihm vorher überhaupt jemals der Tod in den Sinn gekommen? Er wusste es nicht. Die letzte Nacht hing wie ein schwarzer Nebel zwischen dem Jetzt und der Vergangenheit.
    Er trieb seine Gedanken zu dem Mädchen. Über sie nachzudenken beruhigte ihn sonderbarerweise. Ihr Pfeil hatte ihn aus dem Entsetzen gerissen, mit dem er das Ritual verlassen hatte, und das erste Mal im Leben hatte er Schmerz als etwas Erlösendes empfunden. Auch wenn er ja nicht wirklich gestorben war, sondern nur seinen ersten Fuchskörper verloren hatte, war er für einen Augenblick von allem befreit gewesen, Bewusstsein, Gegenwart, Schuld.
    Ob das Mädchen wirklich eine Rebellin war? Warum hatte sie ihn dann nicht umgebracht, als er in seiner verletzlichen Jungengestalt im Schnee lag?
    Er seufzte tief. Er musste sie wiedersehen und all das fragen. Sie würde sein Geheimnis sein und seine Mutter durfte nie von ihr erfahren.
    Die Nacht kroch unerträglich langsam dahin. Lyrian hatte zuletzt vor zwei Tagen geschlafen, doch er konnte kein Auge zutun. Selbst wenn, würde er wahrscheinlich so schlimme Albträume haben, dass Wachbleiben erholsamer war.
    Stunde um Stunde schlich er durch den Palast, rollte sich als Fuchs auf weichen Diwanen ein und konzentrierte sich auf die Gerüche, die er nun viel intensiver wahrnahm als sonst: Da war der trockene, körnige Duft der staubigen Samtkissen und die muffig-kalte Aura, die die Stuckwände umwaberte, den Marmor des Fußbodens und die morschen Wandteppiche. Aus der Sicht des Fuchses sahen die Räume ungewöhnlich riesig aus - alles wirkte übermächtig, unerschütterlich und kalt. Was er als Junge verschwommen erlebt und mehr intuitiv als bewusst mit seiner Umgebung verbunden hatte, entfaltete sich jetzt ganz deutlich vor ihm. Ihm war, als sähe er seine Heimat zum ersten Mal. Sein ganzes bisheriges Leben war er so unwissend gewesen.
    Lange stand er am Fenster und beobachtete die kohleschwarze Welt. Irgendwo da draußen musste Baltibb sein, um das Mädchen aufzuspüren... Auf sie konnte er sich verlassen, sie liebte ihn mit ihrem ganzen, gefühlvollen Menschenherz. Und auch wenn er wusste, dass nichts schlechter und gefährlicher war als Liebe, war er doch froh darüber.
     
    Am nächsten Morgen betrat sie den Falkenturm und vergaß ihren Knicks, als Lyrian aus den Schatten auf sie zugelaufen kam.
    »Und?«, fragte er atemlos. »Wo ist sie?«
    »Ihr seht blass aus. Geht es Euch gut?«
    Er winkte ungeduldig ab. »Was ist, haben die Sphinxe sie nun?«
    Baltibb nickte zögernd. »Ich war gestern Nacht im Gefängnis, Hoheit, wie Ihr befohlen habt.«
    »War sie da?«
    Sie sah ihm forschend in die Augen. »Als ich kam, hatte man sie schon in die Gruben geworfen. Sie wurde hingerichtet, Hoheit.«
    Ihre Worte trafen ihn wie Faustschläge.
    Tot.
    Ihm wurde schlecht. Als Baltibb ihn am Arm
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