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Rabenbrüder

Rabenbrüder

Titel: Rabenbrüder
Autoren: Ingrid Noll
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lustig über mich«, rief er, »ich weiß genau, was ich von deiner Heuchelei zu halten habe!« Er riß seine Jacke an sich, fuhr hinein und griff zielstrebig mit beiden Händen in die Taschen.

Vorbei in tiefer Nacht
    Dank einer Zitronenscheibe nannte sich Krystynas Spezialität Espresso romano und schmeckte ungewohnt, aber gut. Paul betrachtete die junge Frau mit Wohlgefallen; sie lachte zuweilen so heftig, daß sie sich den kugelrunden Bauch halten mußte, sprach ausgezeichnet Deutsch und hatte den alternden Markus wieder in Schwung gebracht.
    Vom Balkon aus zeigte der stolze Hausbesitzer seinen kleinen Garten. Eine große schwarze Katze schlich durch die Büsche und rupfte die ersten sprießenden Grashalme ab; Paul fragte, ob sie wieder einen Kater hätten. Verärgert klatschte Markus in die Hände, um den Eindringling zu vertreiben. Nie wieder wollte er ein Tier im Haus, Olgas Gattopardo sei mehr oder weniger der Scheidungsgrund gewesen. Er hätte keine Ahnung, wem dieser Satansbraten gehöre.
    »Ein gutes Beispiel für Zoopharmakognosie«, murmelte Paul. Sein Freund sah ihn befremdet an und wurde sogleich belehrt. »Katzen fressen Gras, um keine Bauchschmerzen zu kriegen, Papageien schlucken Lehm als Schutz vor Pflanzengiften. Menschenaffen suchen ganz gezielt nach bestimmten Gewächsen, um äffische Krank-
    heiten zu kurieren. Zoopharmakognosie nennt man den Gebrauch von natürlichen Heilmitteln durch Tiere.«
    Markus staunte. »Typisch Paul«, sagte er, »und woher weißt du so was?«
    Paul las mit großem Interesse das Journal der Umweltstiftung WWF, hatte die Patenschaft für einen ostdeutschen Biber übernommen und überwies kleine Spenden für alle möglichen gefährdeten Tiere.
    Kurz vor vier stieg er zu seinem Freund in den Wagen, um sich in der Nähe der Kanzlei absetzen zu lassen. Markus sei ein Glückspilz, sagte Paul, mit seiner Krystyna habe er einen guten Griff getan. So etwas Nettes, Hübsches, Fröhliches im Haus wirke wohl wie ein Jungbrunnen.
    Markus strahlte und verabschiedete sich in allerbester Laune. »Mensch, Paul, ich habe wirklich allen Grund, dankbar zu sein. Und deswegen werde ich Olga die halbe Eigentumswohnung einfach schenken!«
    Die überraschende Großmütigkeit seines Freundes gab Paul immer noch zu denken, als er bereits die Haustür öffnete und der verführerische Geruch des Dönerlokals in seine Nase stieg. Montags gab es oft gefüllten Paprika, weil sich so die Reste des Wochenendes wie durch ein Wunder in einzigartige Köstlichkeiten verwandeln ließen. Am liebsten hätte er sich von Freund Gürkan zum Probieren einladen lassen. Gleich würde er wieder am Schreibtisch sitzen und sich durch langweilige Akten quälen, um schließlich frustriert nach Hause zu fahren, wo Annette mit Kräutertee und Quarkschnitten auf ihn lauerte.
    Spontan entschied er sich für die prickelnde Lust des Schuleschwänzens. Wie in seiner Pennälerzeit erwies sich das Kino als idealer Fluchtpunkt. Im dunklen Ort der Illusionen vergaß Paul, daß er sich für den morgigen Gerichtstermin kaum vorbereitet hatte, dachte auch nicht mehr an fällige Anrufe und das liegengebliebene Handy, sondern rettete sich auf einen fernen Planeten.
    Da die Schreibkraft in Pauls Büro nur halbtags arbeitete und sein Partner einen auswärtigen Termin hatte, verhallten die Hilferufe seiner Frau ungehört.
    Zu Hause spitzte sich die Situation nämlich zu, weil Annettes spöttische Worte wie ein rotes Tuch gewirkt hatten. Beim Griff in beide Jackentaschen zog Achim mit der linken Hand ein Handy heraus, das er beiseite legte; rechts wühlte er vergeblich.
    Ohne lange zu fackeln, machte er sich über das Sofa her und fegte Wolldecke und Kissen herunter. Offensichtlich glaubte er, der Elektroschocker wäre aus der Tasche geglitten und müßte in einer Ritze liegen.
    Natürlich wußte Annette genau, was er suchte. Es war gut, daß sie das verhaßte Ding bereits vorher aus diesem Gefahrenbereich entfernt hatte, aber auch im jetzigen Versteck war es rasch zu finden.
    Mit einem eher kläglichen Trick wollte sie ihn ablenken. Scheinbar absichtslos ergriff sie seine Hand, zog ihn in sitzende Position, offerierte ihm das Cognacglas und redete besänftigend auf ihn ein. Sie merkte sehr wohl, wie unaufrichtig und furchtsam ihre Stimme klang und wie durchschaubar ihr Ablenkungsmanöver wirkte.
    »Schluß mit dem Theater!« brüllte Achim und donnerte mit der Faust auf den Tisch, »ich hab’ dir schon viel zuviel erzählt. Du glaubst
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