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Rabenblut drängt (German Edition)

Rabenblut drängt (German Edition)

Titel: Rabenblut drängt (German Edition)
Autoren: Nikola Hotel
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nächstbesten Ast. Ich schaute mich nicht einmal um, um zu sehen, was den Hund von mir abgelenkt hatte. Ich nahm alle Kraft zusammen und stieß mich vom Boden ab. Meine Finger umschlossen den Stamm und sofort schwang ich meine Beine nach oben, umklammerte mit den Unterschenkeln den schweren Ast.
    Schon hatten die anderen Tiere den Baum erreicht: Sie knurrten und fletschten die Zähne. Ich zog mich hoch und rettete mich auf den nächsthöheren Ast.
    Keine Sekunde zu früh, denn die Ungeheuer sprangen übereinander, weil sie mich nicht schnappen konnten.
    Der Saft troff ihnen aus den Lefzen. Ihre Augen waren weit aufgerissen und blutunterlaufen, als hätte man sie tagelang ausgehungert. Verbissen sprangen sie immer wieder an dem Stamm hoch. Jetzt konnte ich auch feststellen, aus welchem Grund der eine Hund von mir abgelassen hatte. Sergius kreiste über uns. Ich beobachtete, wie er todesmutig hinabstürzte und auf einen der Bluthunde einpickte. Das hatte er bestimmt schon vorhin getan, sonst hätte mich der Hund niemals entwischen lassen.
    Dieser Vogel musste wahnsinnig sein.
    Der angegriffene Hund schoss herum, schnappte nach ihm, aber der Rabe war schneller. Jetzt nahm er sich eine der anderen Bestien vor. Hämmerte mit seinem harten Schnabel auf deren Schädel ein, und schwang sich wieder in die Luft, nur einen Wimperschlag, bevor der Kiefer des Hundes den Luftraum durchbiss, den er gerade verlassen hatte.
    Entweder war dieser Vogel vollkommen todesmutig oder tollwütig! Immer wieder ließ er sich hinunterfallen, vollführte halsbrecherische Manöver und stieß mit seinem Schnabel zu. Ich schloss die Augen, weil ich nicht sehen wollte, wie sie ihn erwischten. Diese Schlacht konnte er unmöglich gewinnen. Und er musste es auch nicht. Verschwinde doch! , dachte ich. Sie kriegen mich schon nicht. Irgendwann müssen sie doch von mir ablassen, irgendwann müssen sie doch müde werden.  
    Der Rabe umkreiste den Baum wie ein Raubvogel. Seine Laute ein einziges Kriegsgeheul. Er breitete die Flügel weit aus und stieß geradezu lustvolle Schreie aus.
    Er genoss diesen Kampf auf Leben und Tod.

 Pfeilgift
     
     
     
    D ieses Lachen brachte die schützende Kapsel, die mich umgab, zum Platzen. Ich warf mich auf Nikis Vater und gemeinsam stürzten wir gegen eines der schweren Eichenfässer. Ein Splittern war zu hören. Mit einem Krachen barst das Fass unter unserem Gewicht. Mehrere hundert Liter Wein ergossen sich in einem Schwall über den Boden und schäumten unsere Körper ein. Die Wucht des Aufpralls hatte jegliche Atemluft aus der Brust meines Feindes gepresst. Ich griff nach seiner Kehle und drückte zu.
    »Nein!«, schrie Nikolaus. Aber das Einzige, was ich wahrnahm, war die erhitzte Haut unter meinen Händen, Wassilijs Augen, deren Pupillen seltsam hervorgewölbt in mein Gesicht starrten. Anstatt sich zu wehren, umklammerte er meine Finger.
    »Alexej!«, brüllte Niki, diesmal voller Panik.
    Meine Hände öffneten sich. Röchelnd sog Wassilij frische Atemluft ein. Es hatte nur diesen einen Atemzug bedurft, sein Gehirn wieder in Gang zu setzen. Seine Hände umkrallten mich sofort wie eine Stahlzwinge. Doch jeder Gedanke an Gewalt war in mir verpufft. Ich spürte das vertraute Flattern unter meinen Lidern, als der Rabe in mir wild pulsierte, und mit einem Schrei brach er aus meinem Körper heraus. Das Hemd, das Nikis Vater weiterhin gepackt hielt, hing wie eine tote Haut herunter.
    Er schrie auf und schwang es wie eine Fahne. Ich stob unter der flachen Decke entlang, aber die schwere Tür am Ende des Ganges war verschlossen.
    Meine Augen flehten Niki um Hilfe an. Ich sah die Zerrissenheit in seiner Miene. Dann rappelte er sich auf und wuchtete die Tür auf. Ich ruderte in Richtung Treppenaufgang. Das Geräusch von Nikolaus’ Schritten immer hinter mir, schoss ich den dunklen Schacht empor. Seine Arme öffneten das letzte Hindernis für mich. Und wie ein Feuerwerkskörper sprengte ich durch das Tor nach draußen.
     
    Alles verschwamm unter der Geschwindigkeit meiner Flügelschläge. Selbst mit geschlossenen Augen hätte ich den Weg zu Isabeau gefunden. Ich musste nicht sehen, musste nur die Luftströme unter meinen Flügeln spüren und in meinem Gehirn floss eine Spur, die sich mit einer magnetischen Bahn der Erde zu verbinden schien.
    Geräusche sickerten in mein Gehör: eine wahnsinnige Blutgier, die aus tierischen Körpern belferte.
    Ich sah sie unter mir.
    Isabeau, die sich an den Ästen eines Baumes klammerte und
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