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Quitt

Quitt

Titel: Quitt
Autoren: Theodor Fontane
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als einer Stelle stand Zwergholz und hier und da selbst ein Busch, daran er sich halten und mit nicht allzuviel Schwierigkeit hinaufziehen konnte. Die ganze Höhe betrug keine hundert Fuß, und ehe fünf Minuten um waren, war er oben und genoß eines wundervollen Umblicks. Zur Linken, unmittelbar über dem Kamm, in einer Art Quer- oder Giebelstellung, stand der Sonnenball und goß seine Glut derart über die ganze lange Berglinie hin aus, daß beide Seiten des Kamms in einem hellen Lichte lagen. Weiter abwärts freilich herrschte schon Dämmerung, was übrigens nicht hinderte, daß Lehnert die weite Talmulde, bis zu den Shawnee-Hills hin, überblicken konnte.
    Das da drüben mußte Fort Holmes sein, und die vereinzelt aufblinkenden Lichter im Tal bezeichneten die Linie, wo die Bahn lief. Und zuletzt weilte sein Blick auf Nogat-Ehre. Da lag es. Das erste Haus, das war Obadjas, da wohnte Ruth, und er grüßte hinüber. Ja, einen Augenblick vergaß er fast, um was er hier war, und erst als er sich's wieder in die Seele zurückgerufen, rief er Tobys Namen. Aber nur das Echo antwortete.
    So vergingen Minuten. Alles blieb still. Das über den Kamm hin ausgebreitete Licht erlosch, und Lehnert fühlte, daß es keinen Sinn mehr habe, auf seiner Felshöhe zu verweilen. Und so wollt er denn rasch wieder hinab, um wenigstens vor Beginn völliger Dunkelheit noch bis Eagles Point zu kommen, wo, wenn das Rufen vergeblich blieb, Uncas ihm Beistand leisten und in dem Gestrüpp umhersuchen konnte. Fand er ihn nicht, und seine frühere Zuversicht hatte ihn zu nicht kleinem Teil verlassen, so wollt er nach dem Vorwerk zurück und am andern Morgen von dort aus das Suchen erneuern. Ohne Toby nach Nogat-Ehre zurückzukehren erschien ihm unmöglich.
    Er hatte sich die Stelle gemerkt, wo er aufgestiegen war, und an eben dieser Stelle wollt er auch – schon der ziemlich vielen Sträucher und Zwergbüsche halber – wieder zurück. Die waren ihm eine Hilfe, wenn er ins Gleiten und Glitschen kam. Und wirklich, es schien fast, als ob diese seine Vorsicht sich lohnen solle. Zwei-, dreimal, beim Ausrutschen, hatte er zufassen und sich halten können, auch der Gewehrkolben kam ihm mehr als einmal zupaß, und bis zu der Stelle hin, wo Uncas die Jagdtasche bewachte, waren keine dreißig Fuß mehr. Auch die Steile war hier geringer, und so gab er denn die Vorsicht auf, die er bis dahin geübt hatte. Freilich nicht zu seinem Heil. Denn mit einemmal kam er in ein halbes Stürzen, und weil zufällig kein Strauch mehr da war, dran er sich klammern konnte, schoß er, wie von einer Rutschbahn, mit aller Gewalt auf den Plateaurand nieder und mußte froh sein, unterwegs auf eine stumpfe Steinkante zu stoßen, die den Sturz einigermaßen aufhielt. In der Tat, die Erschütterung, als er auf dem Plateaurand ankam, war nicht allzu groß, ebensowenig empfand er einen Schmerz, und so stand er denn auf dem Punkt, sich zu dem den jähen Absturz hemmenden »Stein des Anstoßes« aufrichtig zu beglückwünschen, als er bei dem Versuche, sich aufzurichten, erkennen mußte, daß der Stein des Anstoßes wohl geholfen, aber doch noch mehr geschadet habe. Mit der Hüfte gegen den Stein fahrend, war der Hüftknochen aus dem Gelenk gesprungen. Er erhob sich mit äußerster Anstrengung, aber nur, um im selben Augenblick wieder zusammenzubrechen. Jetzt kamen auch Schmerzen, begleitet von einer schweren Ohnmacht, und als er nach einiger Zeit (er wußte nicht wie lange) wieder erwachte, standen schon die Sterne am Himmel.
    Über sich die Sterne und unten die Lichter von Nogat-Ehre, sonst alles dunkel um ihn her. Dazu kam ein Frösteln. Er hing sich mühsam die neben ihm liegende Jagdtasche um und schob sich seitwärts bis an eine Stelle, wo ein Erlenbusch stand, verkrüppelt, mit halb am Boden ausgestrecktem Gezweig. Unter dies Gezweige kroch er. Es gab ihm Schutz gegen den Nachtwind; Uncas legte sich neben ihn, und die Wärme tat ihm wohl. Und als Mitternacht heran war, schlief er ein.
    Er schlief mehrere Stunden, und die Sonne stand schon über dem Horizont, als er aufwachte. Die Schmerzen hatten nachgelassen, aber das Bewußtsein seiner Lage packte ihn jetzt mit doppelter Gewalt. Gewiß, daß man im Laufe des Tages nach ihm ausziehen, ja, daß Freund L'Hermite den ganzen Arapahostamm aufbieten werde, nach ihm zu suchen. Gewiß, gewiß. Und sie würden ihn auch finden. Aber
wann
? Bis dahin war es vielleicht um ihn geschehen. »Und wenn es so kommen soll, wenn kein Entrinnen,
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