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Quellen innerer Kraft

Quellen innerer Kraft

Titel: Quellen innerer Kraft
Autoren: Anselm Gruen
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Allerdings war das, was andere von uns dachten, durchaus wichtig. Das hat mich eine zeitlang sehr verunsichert. Aber ich nahm auch wahr: Mein Vater lebte das, was er im Innersten spürte. Das gab mir bald die Freiheit, mein eigenes Leben zu leben.

    Unser Vater ließ uns gewähren. Wenn wir auf neue Ideen kamen, war er immer stolz darauf und hat sie gefördert. Wenn wir mit 14 oder 16 Jahren mit dem Fahrrad nach Österreich und in die Schweiz fuhren, machte er uns keine Vorschriften. Er hatte Vertrauen, dass wir uns schon richtig verhielten und dass wir heil wieder daheim ankommen würden. Dieses Vertrauen hat mir selber später geholfen, in der Jugendarbeit den jungen Menschen etwas zuzutrauen, ohne Angst, dass etwas schief gehen könnte. Es waren ja große Kurse mit bis zu 300 Teilnehmern. Und es ist tatsächlich immer gut gegangen.

    Ich bin dankbar für die Pfarrei, in der ich groß geworden bin. 1947 war unsere Kirche in Lochham die erste, die in der Diözese München nach dem Krieg gebaut wurde. Es war eine einfache Kirche. Aber in ihr habe ich mich immer wohl gefühlt. Und das Leben in der Pfarrei war sehr lebendig. Wirhatten engagierte Pfarrer und Kapläne. Und wir trafen uns mit vielen Jugendlichen. Schon als Kind hatte ich immer eine große Offenheit für feierliche Gottesdienste, etwa an Weihnachten, an Ostern oder Fronleichnam. Irgendetwas in meiner Seele wurde da tief berührt. Gerne erinnere ich mich an die Maiandachten mit den schönen Marienliedern und dem Blütenduft in der Kirche. Da kam etwas Zärtliches in die Kirche. Ich spürte Geborgenheit und Liebe in der Art, wie wir die Andacht feierten.

    Dankbar bin ich auch für die Schule, die ich erlebt habe. In der Volksschule machte mir das Lernen Freude. Es war mehr etwas Spielerisches als ein großer Leistungsdruck. Schon mit 10 Jahren kam ich ins Internat nach St. Ludwig in der Nähe von Münsterschwarzach, 300 km von daheim entfernt. Es fiel mir zwar immer schwer, von zuhause wieder ins Internat zu fahren. Aber auch in diesem Internat erlebte ich gute Lehrer, die mir vor allem beibrachten, wie ich gut und effektiv lernen konnte. Und sie haben mein Interesse für vieles geweckt, für Mathematik, für die Sprachen und für die Musik. Meine Mutter war sehr musikalisch, mein Vater nicht. So fühlte ich mich im Musikunterricht eher schwach. Aber als ich mit 14 Jahren Cello lernte, hat mich die Musik gepackt. Pater Otto, der mir das Cellospielen beibrachte, zeigte mir, wie ich in der Pubertät meine Stimme formen konnte. Er war selber kein Perfektionist. Aber er hatte ein gutes Gespür für die Fähigkeiten und Grenzen der Schüler. Seit diese Liebe zur Musik in mir geweckt wurde, ist die Musik eine wichtige Quelle geblieben, aus der ich schöpfe. Gerne nehme ich mir Zeit, Bachkantaten zu hören, oft mit Kopfhörer, um mich ganz dem Hören zu überlassen. Im Hören einer Bachkantate komme ich mit meiner spirituellenSehnsucht in Berührung. Die Musik führt mich tief in mein Herz. Dort ahne ich, was mich wirklich trägt und was mich nährt. Aber auch die klassische Musik von Mozart, Beethoven und Haydn berührt mich. Wenn mich manches in der Verwaltung ärgert, dann lege ich manchmal eine CD mit Mozarts Oper „Cosi fan tutte“ oder „Die Hochzeit des Figaro“ auf. Die erfrischende Musik verscheucht dann den Ärger und mein Herz wird leicht.

    Was ich von meinem Vater gelernt und dann später im Internat und in der Schule vertieft habe, war eine klare Disziplin. Ein Sportler kann verlieren, er schimpft nicht, das war seine Einstellung. Er war es auch, der mich lehrte, bei einer Sache zu bleiben. Und so entwickelte ich während der Gymnasialzeit eine eigene Art und Weise zu lernen: niemals zu lange an einem Stück, immer abwechselnd die innere Aufmerksamkeit auf verschiedene Gegenstände steuernd. Diese Art von Zeitdisziplin, die auch einem inneren Rhythmus folgt, ist für mich auch heute eine wichtige Quelle, aus der ich schöpfe. Ich habe nicht den Eindruck, dass ich mich in die Disziplin hinein zwänge. Sie ist vielmehr die Form meines Arbeitens, die meiner Seele entspricht.

    Ich habe zwar eine gute Zeitdisziplin, aber keine Ordnung auf meinem Schreibtisch. Auch das habe ich offensichtlich von meinem Vater geerbt. Wenn wir an Weihnachten seinen Schreibtisch brauchten, um den Christbaum und die Krippe drauf zu stellen, räumte die Mutter einfach alles weg. Das war für meinen Vater jedes Jahr ein Problem, weil er dann oft nicht mehr fand, was er
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