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Qual (German Edition)

Qual (German Edition)

Titel: Qual (German Edition)
Autoren: Stephen King , Richard Bachman
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der Junge hätte sich all diese Verletzungen bei einem einzigen Sturz die Treppe hinunter zugezogen. Auch glaubten sie ihm nicht, als er sagte, die vier noch nicht vollständig verheilten Zigarettenbrandwunden auf der Brust des Jungen wären Zeichen »irgend so einer komischen Hautkrankheit«.
    Der Junge sah die Wohnung im ersten Stock nie wieder. Er wurde unter Amtsvormundschaft gestellt und wanderte aus dem Krankenhaus ohne Umwege direkt in ein Heim, wo sein elternloses Leben damit begann, dass ihm auf dem Spielplatz die Krücken von zwei Jungs weggetreten wurden, die anschließend gackernd davonrannten. Clay rappelte sich allein wieder auf und stützte sich auf seinen Krücken ab. Er weinte nicht.
    Sein Vater protestierte halbherzig auf dem Polizeirevier von Freeport und weiter in verschiedenen Kneipen der Stadt. Er drohte damit, vor Gericht zu gehen, um seinen Sohn zurückzubekommen, was jedoch nie geschah. Er behauptete, Clay zu lieben, und vielleicht tat er das ja auch, wenigstens ein bisschen, aber wenn dem so war, dann gehörte seine Liebe zu der Sorte, die beißt und brennt. Der Junge war besser dran, wenn er außerhalb seiner Reichweite blieb.
     
    Aber nicht viel besser. Das Hetton House in South Freeport war wenig mehr als eine erbärmliche Farm für Kinder, und Clays Kindheit dort verlief elend und unglücklich, selbst wenn es sich ein wenig besserte, als seine körperlichen Wunden
verheilt waren. Da war er zumindest in der Lage, sich auf dem Spielplatz die übelsten Rabauken vom Leib zu halten; sich und den wenigen jüngeren Kindern, die zu ihm kamen und auf seinen Schutz bauten. Die Rabauken nannten ihn Schwachkopf und Troll und Kong, aber keiner dieser Namen machte ihm etwas aus, und er ließ sie in Ruhe, solange sie ihn in Ruhe ließen. Was sie meistens auch taten, nachdem er die schlimmsten von ihnen vermöbelt hatte. Er war nicht bösartig, aber wenn er provoziert wurde, konnte er gefährlich werden.
    Die Kids, die keine Angst vor ihm hatten, nannten ihn wegen dieser plötzlich auflodernden Ausbrüche »Blaze«, und so kam er zu dem Namen, mit dem er sich fortan identifizierte.
    Einmal bekam er einen Brief von seinem Vater. Lieber Sohn, stand da. Also, wie geht’s Dir. Mir geht’s gut. Arbeite jetzt oben in Lincoln als Holzfäller. Wäre gar nicht so übel, wenn die Sch**** mich nicht um die Überstunden behumpsen würden, HA! Ich besorg mir eine kleine Wohnung, und wenn’s so weit ist, hole ich Dich her. Also, schreib mir einen kleinen Brief und erzähl Deinem alten Pa, wie es Dir so geht. Kannst du ein Foto schicken. Unterzeichnet war der Brief mit In Liebe, Clayton Blaisdell.
    Blaze hatte kein Foto, das er seinem Vater schicken könnte, hätte aber geschrieben – der Musiklehrer, der immer dienstags kam, hätte ihm dabei geholfen, da war er ziemlich sicher –, aber es stand kein Absender auf dem schmutzigen Umschlag, der mit der Adresse Clayton Blaisdell junior »Das Waisenhaus« in FREEPORT MAINE versehen war.
    Blaze hörte nie wieder etwas von ihm.
    Während seines Aufenthalts im Hetton brachte man ihn in mehreren Familien unter, jedes Mal im Herbst. Sie behielten ihn immer gerade lange genug, dass er bei der Ernte helfen und ihre Dächer und Vorgärten vom Schnee frei halten konnte. Wenn dann der Frühling kam, beschlossen sie, dass er doch nicht richtig zu ihnen passte, und schickten ihn zurück. Manchmal war’s gar nicht so übel, aber manchmal – wie bei den Bowies auf ihrer schrecklichen Hundefarm – war es ein Albtraum.
    Als er und das Hetton House miteinander quitt waren, zog Blaze allein durch die Neuenglandstaaten. Manchmal war er glücklich, aber nicht so, wie er glücklich sein wollte, nicht so, wie andere Leute glücklich waren. Als er sich schließlich in Boston niederließ (mehr oder weniger, er schlug nämlich nie wirklich Wurzeln), geschah dies vor allem, weil er sich auf dem Land so einsam fühlte. Wenn er auf dem Land war, schlief er manchmal in einer Scheune und wachte mitten in der Nacht auf und ging hinaus und schaute zu den Sternen auf, und da waren so viele, und er wusste, sie waren schon vor ihm da gewesen und würden nach ihm immer noch da sein, und das war irgendwie schrecklich und gleichzeitig irgendwie wunderbar. Manchmal, wenn er trampte und wenn es auf November zuging, fegte der Wind um ihn herum und ließ seine Hosenbeine flattern, und dann trauerte er um etwas, das verloren war, wie zum Beispiel jenen Brief, der ohne Absender angekommen war. Manchmal
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