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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition)
Autoren: Andrea Gunschera
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jeden Abend mit seinem Vater anlegte, weil er eben
nicht
so werden wollte wie Randall O’Neill.
    Doch vielleicht hatte die Prescott auch recht. Abschaum gebiert Abschaum. Heute Abend stand er für Pat und seine Kumpels Schmiere, statt sich in seine Bücher zu vertiefen. Weil er es mit seinem legendären Bauchgefühl förmlich spürte, wenn die Cops im Anzug waren. War schwer zu erklären, funktionierte aber fast immer. Und Feigling, der er war, sagte er Ja, obwohl er eigentlich Nein sagen wollte.
    Entnervt ließ er den Hefter auf die Kiste fallen. Er konnte sich nicht konzentrieren. Seine Gedanken taumelten in alle Richtungen. Unschlüssig blätterte er im Bildband, der auf der Tischkiste lag.
Auf Taliesins Spuren.
Fotos verwunschener irischer Feenwiesen und Schlossruinen wechselten sich mit gezeichneten Ornamenten ab, arrangiert mit keltischen Versen. Noch ein Fund aus dem Roosevelt Warehouse. Erst vor ein paar Tagen hatte er den Band aus einem Stapel verschimmelter Kochbücher gezogen. Der Teufel mochte wissen, wie er da hingekommen war. Mom liebte diese schwermütigen alten Gedichte fast so sehr wie ihre Bibel. Er schob die Kiste beiseite und bückte sich nach dem losen Stein, der im Boden eingelassen war. Im Hohlraum darunter befand sich ein Holzkästchen, in dem er seine Wertgegenstände aufbewahrte. Nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass doch einmal ein Penner den Weg hier hoch fand. Er angelte die Blume heraus und strich die Seidenblätter glatt. Sie sah aus wie eine besonders üppige und übergroße Akelei-Blüte. In seiner Familie interessierte sich niemand für Blumen. Wie vor neun Jahren schimmerte sie in seiner Hand, unwirklich, ein Relikt, das durch einen Traum in die Wirklichkeit gefallen war. Das Mädchen hatte er nie wiedergetroffen. Doch seit der Begegnung mit ihr sah er Moms Geistergeschichten mit anderen Augen.
    Fast war er dankbar, als sein Handy klingelte. Er warf einen Blick auf das Display und nahm ab. »Hi, Mom.«
    »Ken.« Ihre Stimme klang schleppend und gehetzt zugleich, ihr typischer Tonfall, in den sich über die Jahre noch Müdigkeit gemischt hatte. Er löste ein diffuses Schuldgefühl in ihm aus, einen Hauch Mitleid und die quälende Sehnsucht, zu fliehen. Und nie mehr zurückzublicken. Es wurde leichter, wenn er ihr ins Gesicht sah, wenn Zärtlichkeit das Fluchtgefühl erstickte. Und Liebe die Schuld erträglich machte.
    »Bist du zu Hause?«
    »Ich muss arbeiten«, log er.
    »Wirklich?« Rauschen im Hintergrund. Sie saß im Auto. »Kannst du mir einen Gefallen tun?«
    »Was brauchst du, Mom?«
    »Du musst bei Trumbull’s ein Päckchen für mich abholen.«
    »Kein Problem.«
    »Aber zeig es Dad nicht.«
    »Was ist drin?«
    Sie seufzte. »Hol es einfach ab, okay? Und wenn David Trumbull fragt, und das wird er, sag ihm, es sind Bücher für dich.«
    »Okay.«
    »Du bist ein Schatz.«
    »Ich liebe dich auch, Mom.«
    Sie legte auf. Ken ließ das Handy sinken und fragte sich, was in dem Päckchen sein mochte. Wenn seine Mutter nicht damit in Verbindung gebracht werden wollte, steckten wohl kaum Rezepthefte oder Plätzchenformen drin. Es war das vierte oder fünfte Mal, dass er diese mysteriösen Sendungen für sie abholte, und jedes Mal hatte er seine Neugierde bezwungen.
    Mit einem Seufzen richtete er sich auf. Vielleicht ging seine Fantasie mit ihm durch. Vielleicht waren es einfach Gebetsbücher oder irgendein anderer Kram für ihren Bibelkreis, und sie wollte nur nicht, dass Randall sich darüber lustig machte.
    Trumbull’s lag an der Michigan Avenue Ecke Cochrane, ein verwinkelter kleiner Supermarkt mit schmierigen Fenstern, der nur dank der Solidarität seiner Nachbarn überlebte. David Trumbull war ein Urgestein der irischen Gemeinde von Corktown, und man ließ die eigenen Leute nicht hängen. Also kauften die Kunden bei ihm statt bei Walmart. Außerdem konnte man bei Trumbull’s stundenlang tratschen oder draußen vor dem Laden in der Sonne sitzen, bis ein Bekannter vorbeikam, der ebenfalls Zeit totschlagen wollte.
    Es war dunkel, als Ken sein Fahrrad gegen die orange gestrichenen Eisensäulen lehnte. Er grüßte Mrs Stevenson, die auf dem Bänkchen neben dem Eingang ihre dicken Beine massierte, und schlüpfte durch die klapprige Glastür ins Innere.
    David Trumbull war nicht da. Nur Sean stand hinter der Kasse, ein schweigsamer, schlaksiger Junge, mit dem Ken befreundet gewesen war, bevor er auf die Highschool wechselte.
    »Hey.« Ken schloss die Tür hinter sich. »Wie
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