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Proust 1913

Proust 1913

Titel: Proust 1913
Autoren: Luzius Keller
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Rezension findet; dann ein Abschnitt mit einem Seitenhieb. In beiden spielt der von Souday als Korrektor vorgeschlagene »vieil universitaire« eine Rolle: »Ich versichere Ihnen, dass der ›alte Gelehrte‹, den Sie vorschlagen, den Verlagshäusern zur Seite zu stellen, hätte er nur meine Französischfehler zu korrigieren, sehr viel Muße hätte./Erlauben Sie mir hinzuzufügen (da dieser Brief ja nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist und Sie mir deshalb diesen Seitenhieb nicht übelnehmen können), dass er einen Teil seiner Muße darauf verwenden könnte, Ihre lateinischen Zitate zu überprüfen. Er würde es gewiss nicht unterlassen, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass nicht Horaz von einem Werk spricht, bei dem
materiam superabat opus,
sondern Ovid, und dass dieser Dichter das nicht als Tadel, sondern als Lob sagt.« ( XII , 381 ) Eigentlich schade, dass Proust den privaten und nicht den öffentlichen Weg gewählt hat. Eine Replik in
Le Temps
hätte dem selbstbewussten Kritiker wohl gutgetan.
    Immerhin hat Soudays Rezension bewirkt, dass jemand, der mit Proust von ferne bekannt war,
Du côté de chez Swann
am folgenden Tag kaufte und gleich zu lesen begann: Gabriel Astruc.
     
    Gabriel Astruc war eine stadtbekannte Persönlichkeit. In einem Brief an Reynaldo Hahn vom 17 . oder 18 . August 1911 bemerkt Proust, man pflege dem Namen Astruc das Epitheton »ce diable d’homme« (Teufelskerl, Tausendsassa) beizufügen, doch war er mit ihm vorerst nicht näher bekannt. Astruc ( 1864 – 1938 ), Sohn eines Rabbiners, betätigte sich zuerst als Journalist, war dann Verlagslektor bei Ollendorff und wurde schließlich zum Impresario. Als solcher organisierte er von 1905 bis 1912 die jährliche
Grande Saison de Paris,
deren Highlights das erwähnte Epitheton verständlich machen: 1905 Caruso und die Melba; 1907  Erstaufführung der
Salome
von Richard Strauss unter der Leitung des Komponisten; 1909 die Ballets Russes; 1910 die Metropolitan Opera mit Toscanini; 1911  Uraufführung von
Le Martyre de Saint-Sébastien
von D’Annunzio und Debussy. Er war auch die treibende Kraft bei der Gründung und dem Bau des Théâtre des Champs-Élysées, dessen erster Intendant er wird. Die Eröffnung findet am 2 . April 1913 statt, und es folgen drei Monate mit künstlerischen Höhepunkten, von denen schon die Rede war. Kurz nach Beginn der zweiten Saison ist Astruc finanziell am Ende und muss das geplante Programm streichen. In seinen Memoiren schreibt er zwar später, er bereue seine »folie« nicht, denn aus seinem Ruin sei der
Sacre du printemps
hervorgegangen, im Augenblick des Ruins aber beklagt er sich in einem offenen Brief, der am 5 . November 1913 in
Le Figaro
erscheint: »Ohne Subventionen der Stadt und des Staates, ohne andere Unterstützung als die der Kunst habe ich sechs Monate lang gekämpft, und ich habe alles geopfert, um mein künstlerisches Ziel zu verfolgen.« ( XII , 293 ) Auf diesen offenen Brief reagiert Proust mit einem privaten Brief an Astruc: »Cher Monsieur, obwohl ich sehr krank bin, liegt mir daran, Sie meiner tiefen Sympathie zu versichern. Eben lese ich den Brief, den Sie dem
Figaro
eingesandt haben, und in dem Sie zu bescheiden auftreten, denn Sie verschweigen viel von dem, was Sie für die Kunst getan haben, und von dem Bauwerk, das Sie Paris geschenkt haben. Die Schwierigkeiten, denen Ihre Unternehmung begegnet ist, geben Ihnen einen sichereren Platz in der Geschichte der Künste, als ein unmittelbarer Erfolg es getan hätte. Doch ich verstehe, dass solche Betrachtungen in diesem Augenblick nicht über die Bitterkeit hinwegtrösten können, die Sie erfüllen muss und die wir alle empfinden, wenn wir feststellen, dass die enorme Menge von Snobismus und Geld, die in Paris jährlich für die allerlächerlichsten Unternehmungen aufgewendet wird, nicht in den Dienst der interessantesten und vornehmsten gestellt werden konnte./Ich versichere Sie meiner Gefühle von Hochachtung und Sympathie. Marcel Proust.« ( XII , 292 ) So ist denn Proust für Astruc, als dieser am 9 . Dezember Soudays Rezension liest, kein Unbekannter, und es ist seinerseits ein Zeichen von Hochachtung und Sympathie, dass er Prousts Buch mit dem Bleistift in der Hand liest, um Druckfehler und auch anderes am Rand zu notieren, und dies Proust auch brieflich mitteilt. Damit beginnt ein kurzer, aber intensiver Briefwechsel. Proust antwortet: »Cher Monsieur, ich bin unendlich gerührt, dass der Mann, der Paris mit einem
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