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Projekt Armageddon

Projekt Armageddon

Titel: Projekt Armageddon
Autoren: Susanne Gerdom
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Liebkosung. »Es tut mir leid«, flüsterte er und zog sie an sich. Sie stand sperrig in seiner Umarmung, Ellbogen und Knie und Hüftknochen, aber er ließ sie nicht los. »Ich werde auf die Akademie in Lahore gehen. In zwei Wochen. Ich war ein halbes Jahr zur Einführung dort, und jetzt wird es ernst, ich werde vereidigt.«
    Einige der Ecken und Kanten schmolzen und passten sich an seine Berührung an. »Lahore. Da, wo auch die Sprösslinge des englischen Kaisers immer zur Ausbildung hingeschickt werden. Und der Sohn des Mikado ist dort.« Ihre Stimme klang erstickt. »Du kennst diese Leute alle, oder?«
    Er nickte. »Mein Vater ...«, sagte er, ohne den Satz zu beenden.
    Sie fluchte in einer der Sprachen, die sie beherrschte. Gälisch? Italienisch? Isländisch? Er konnte es nicht erkennen. Ashley Fraxinus, Spross einer irisch-isländischen Familie mit deutschen und italienischen Vorfahren. Eine verrückte Mischung. Sein Vater war beinahe ausgerastet, als er von der Liaison erfuhr. Ravi knurrte ganz unten in seiner Kehle. Wenn er den Leibwächter erwischte, der ihn verpfiffen hatte ...
    »Welcher deiner Opas ist das?«, lenkte er seine Gedanken hastig auf eine harmlose Spur. »Der isländische?«
    Sie ließ ihn los und strich die lange blonde Strähne hinters Ohr. »Was hast du nur immer mit diesem Opa?«, sagte sie gereizt. »Ich habe dir doch gesagt, ich habe keine Familie mehr.«
    »Na, der vorhin in deiner Küche. Der schräge Typ in dem blauen Mantel mit der Augenklappe. Der Hippietyp mit dem langen Zopf.«
    Sie stand wieder an ihrem Rechner und schob Regler auf dem orgelähnlichen Keyboard auf und zu. »Du bist noch immer auf dem Trip«, sagte sie kurz. »In meiner Küche verkehren keine Opas mit Zöpfen.«
    Ravi lachte. »Du hast ›bis Mittwoch‹ zu ihm gesagt. Er trinkt Rotwein und Kaffee. Und er hat dir dieses Teufelszeug da gegeben.«
    »Kleiner, leg dich noch eine Weile zum Ausnüchtern ins Bett«, sagte sie geistesabwesend. »Ich mache dir gleich einen schönen Kaffee.«
    Ravi kannte Ash lange genug, um zu wissen, dass er sich die Zähne ausbeißen würde, wenn er nun darauf beharrte, gesehen zu haben, was er gesehen hatte. Er gähnte. Die schwere Mattigkeit in seinen Gliedern zog ihn lockend zurück in das breite, weiche Bett. Was sollte es auch nutzen, wenn er sich mit Ash stritt? Es war ohnehin vorbei. In zwei Wochen schlossen sich die Türen der Akademie hinter ihm und würden sich erst drei Jahre später wieder für einen vollkommen anderen Ravi Surya Malhotra öffnen, den all das hier nicht mehr interessierte als der Fliegendreck an der Wand.
    Mit dem Gedanken an die hohen Mauern der Akademie und die strengen, klösterlich-militärischen Regeln, denen er sich dort würde unterwerfen müssen, sank er in einen unruhigen Schlummer.
    Die Hände um eine große Tasse starken Milchkaffee gefaltet, saß er später in Ashs Küche. Er hatte von dem Drill geträumt, den Schreien der Ausbilder, den harten Stockschlägen, die seine Schultern bei der morgendlichen und abendlichen Meditation trafen, und er fühlte sich zerschlagen und elend.
    Ash saß ihm gegenüber und nippte an einem Glas Rotwein. Ihr Blick ruhte nachdenklich auf seinem Gesicht.
    »Wirst du damit zurechtkommen?«, fragte sie nach einer Weile, in der das Schweigen die dämmrige Küche füllte wie dicker Sirup.
    Ravi blickte auf, blinzelte. »Womit?«
    Sie trank und rollte das Glas zwischen den Handflächen. »Die Akademie«, sagte sie. »Ich habe mich gerade schlau gemacht. Das ist nicht nur eine Eliteschule. Das ist eine Mischung aus Kaserne und Kloster.«
    Er presste die Lippen zusammen. »Da muss ich durch«, erwiderte er. »Alle männlichen Mitglieder meiner Familie haben die Akademie durchlaufen. Es hat keinem von ihnen geschadet.« Aber es hatte jeden von ihnen verändert. Bis zur Unkenntlichkeit. Sein jüngster Onkel Dinesh, der immer für jeden Blödsinn zu haben gewesen war. Er war als Fremder zurückgekehrt. Reserviert, humorlos, diszipliniert. Ravi seufzte. Genau so stellte sein Vater sich seinen Nachfolger vor. Ravi wusste, dass er den Vorstellungen, die der Pâdšâh von seinem Sohn und Nachfolger hatte, nicht entsprach. Die Akademie würde ihn nach diesem Bild formen. Sie würde ihn in kleine Stücke brechen und neu zusammensetzen, und wenn er hierher zurückkehrte, würde er ganz und gar der Sohn des Pâdšâh sein.
    »Verdammt«, sagte er.
    Ash nickte. »Sehe ich auch so.« Sie stellte das Glas ab und verschränkte die Arme
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