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Projekt Armageddon

Projekt Armageddon

Titel: Projekt Armageddon
Autoren: Susanne Gerdom
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vor einer ihrer farbensprühenden Installationen und kaute grübelnd auf ihrer Lippe. Sie hob die Hand, berührte einen fraktalen Ausläufer mit dem Finger und ließ ihn in eine andere Richtung schnellen. Seine Farbe wechselte von einem elektrischen Blaugrün in ein irisierendes Rosa.
    »Lichtenberg-Figuren?«, sagte Ravi. »Du wolltest doch nie wieder Lichtenberg-Figuren programmieren.«
    Sie zuckte die Achseln und verschob mit dem Datenring an ihrem Finger eine zweite sich ins Unendliche verzweigende Verästelung. Dunkelrot wurde zu strahlendem Violett. »Ljapunow hat mich irgendwann gelangweilt«, sagte sie. »Und für Mandelbrot bin ich noch zu jung.« Sie grinste, und ihre Sommersprossen verschoben sich wie die fraktale Figur in der Mitte des Raums.
    Er fand sich neben ihr wieder, ihre tanzenden Sommersprossen mit den Fingern berührend. Sie seufzte und ließ das Programm ablaufen. Das Farbenspiel der Installation zeichnete eine sich verschiebende, ständig wandelnde Kriegsbemalung auf ihr Gesicht.
    »Deine Skulpturen sind so schön«, flüsterte er. »Warum bist du nicht längst reich und berühmt und ...?« Sie erstickte seine Worte mit ihren Lippen und zog ihn in das Innere der Installation.
    Ravi löste sich widerwillig von ihrem Mund und tauchte für einige Atemzüge in das wirbelnde Spiel aus endlos sich verästelnden Formen. »Wie schön«, sagte er leise und wandte sein Gesicht empor, badete es in Licht und Farben.
    Ash knurrte leise, beinahe angewidert, ließ ihn los und fingerte etwas aus ihrer Hosentasche. »Mein Abschiedsgeschenk«, sagte sie. »Hier.« Sie faltete das Päckchen schnell und geschickt auf und schüttelte zwei kleine, unschuldig weiße Tabletten auf ihre Handfläche. Sie steckte eine davon in den Mund und bot ihm die andere an.
    Ravi erhaschte einen Blick auf seltsame Schriftzeichen, die auf dem Papier tanzten wie Vogelspuren im Schnee. Er zögerte kurz, dann zuckte er die Schultern und nahm die Tablette. »Wenn das Supaisu ist, werde ich bei dir übernachten müssen. Ich bin mit dem Motorrad da.«
    »Kein Supaisu«, schnurrte sie und drehte sich um die eigene Achse. »Besser, viel besser. Schau.«
    Er fühlte das Zeug durch seine Adern kochen wie flüssiges Feuer und schnaufte. »He, das bläst dir ja das Gehirn aus den Ohren«, versuchte er zu sagen, aber was herauskam, war unartikulierter Silbensalat.
    Ash lachte und zog ihn hinunter auf den Boden. Das splittrige alte Holz gab weich nach und schmiegte sich an seine Haut.
    Haut? Er warf einen verblüfften Blick an sich herunter. Wo waren seine Kleider? Sein Blick wollte sich nicht fixieren lassen, er wanderte magnetisch angezogen von den Lichterscheinungen der Installation, in der sie sich befanden, nach oben und zu den Seiten.
    Ash saß hochaufgerichtet im Schneidersitz neben ihm. Er konnte gleichzeitig ihre Vorderseite und den Rücken sehen. Der Adler breitete seine Schwingen über ihre Schultern, sein Schnabel hieb nach ihrem Genick, die roten Augen funkelten ihn tückisch von der Seite an. Er schlug mit den Flügeln und das Eichhörnchen flüchtete sich hinunter zur Hüfte und versteckte sich dort.
    Ein peitschender Schlangenschwanz schlängelte sich um die Taille der jungen Frau, die still und in sich versunken dasaß. Der Drache wand sich um ihr Bein und nagte scharfzähnig an ihrem Knöchel.
    Ravi beugte sich vor, um das Untier daran zu hindern, aber der Drache hob seinen Kopf und fauchte ihn an wie eine Katze.
    »Oh, na gut, na gut«, murmelte er und zog hastig die Hand fort.
    »Hör auf rumzukaspern«, sagte sie. »Du wolltest dich doch entschuldigen.«
    »Weißt du«, sagte Ravi, als er wieder sprechen konnte, ohne sich dabei auf die Zunge zu beißen, »es ist wirklich eine Schande, dass du nicht berühmt bist. Ich kenne Galerien, die sich um deine Installationen reißen würden.«
    Sie kraulte gedankenverloren seinen Nacken und musterte ihn. Jetzt waren ihre Augen wieder sanft und dunkelblau wie der abendliche Sommerhimmel. Sie stützte sich auf ihren Ellbogen und boxte das Kissen zurecht. Das alte Bett knarrte bei jeder Bewegung und schwankte wie ein Schiff auf den Wellen. »Ich und berühmt.« Ash schüttelte sich mit gespieltem Abscheu. »Mit Perlenkettchen und Pumps und Dauerwelle, ja?« Sie grinste und strich die längere, weißblonde Hälfte ihrer Haare ins Gesicht. Feuerrot loderte die andere Seite, kurz geschoren wie das Fell eines ... Ravi schüttelte den Kopf. Wieso musste er jetzt an ein Eichhörnchen
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