Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Projekt Armageddon

Projekt Armageddon

Titel: Projekt Armageddon
Autoren: Susanne Gerdom
Vom Netzwerk:
Japaner unsanft am Ellbogen und schob ihn über die Straße, auf das schäbige Café mit der halbblinden Fensterscheibe zu.
    Der Hausflur war trüb beleuchtet und genauso heruntergekommen wie die Fassade und die Straße, in der das Haus stand. Ravi hütete sich, den schmierigen Handlauf der Treppe zu berühren.
    Die Tür zu Ashs Wohnung war wie immer unverschlossen. Er schob sie auf und trat ein. »Ash, ich bin's«, rief er und ging durch den Flur. »Hast du meinen Anruf abgehört?« Er öffnete die Küchentür und blieb stehen, die ausgestreckte Hand mit der Brötchentüte in der Luft erstarrt.
    »Gâisi de, ist heute Mittwoch?«, fragte er, schon halb im Rückzug. »Sorry, ich habe nicht daran gedacht ... ich komme später wieder, okay?«
    »Hör auf, chinesisch zu fluchen und setz dich schon hin«, sagte Ash. Sie stand auf und holte eine Tasse aus dem Schrank. »Frische Brötchen? Super.«
    Ravi schob sich auf den Stuhl neben dem alten Mann, der ihn ausdruckslos musterte. »Ravi«, sagte er. »Ich bin ein Freund Ihrer – äh. Ich bin ein Freund.«
    Ash, die an der Spüle stand und die Brötchen aufschnitt, prustete, sagte aber nichts.
    Der alte Mann nickte desinteressiert und hob sein Glas. Rotwein. Zum Frühstück. Ravi kannte ein paar Leute, die ihren Tag mit Wein oder Hochprozentigem begonnen, aber der hier sah nicht aus wie ein Säufer. Wie ein alter Hippie, der alles an Drogen probiert hatte, was im letzten halben Jahrhundert auf dem Markt war – ja. Aber kein Alkohol.
    »Sind Sie Ashleys Großvater?«, fragte Ravi. »Sie hat mir nie erzählt, dass sie noch Kontakt zu ihrer Familie hat.«
    Ein Blick aus dem gesunden Auge traf ihn, der ihn verstummen ließ. Arktische Kälte, der blassgrüne Winterhimmel, den er draußen beobachtet hatte, der gleichgültige Glanz ferner Gestirne, der krächzende Streit von Raben über einem Kadaver im tiefem Schnee. Ravi schüttelte sich. Seltsame Bilder trieben da durch sein Bewusstsein. Er hatte es gestern Abend vielleicht doch ein wenig übertrieben.
    »Sie haben einen tollen Stoff hier gelassen«, sagte er. »Wie hieß das Zeug? Kryll?«
    Der alte Mann öffnete zum ersten Mal den Mund. »Krydd«, sagte er. »Hast du es probiert?«
    Ravi blinzelte mehrmals heftig. Was für eine Stimme kam aus diesem breiten Brustkorb – volltönend und tief wie eine Orgel, die Stimme eines ausgebildeten Sängers.
    »Hat er«, mischte Ash sich ein. Sie stellte einen Korb mit den aufgeschnittenen Brötchen auf den Tisch, Butter und Käse. »Magst du etwas essen, Afi?«
    Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Ich esse nicht.«
    Ravi verschluckte ein Lachen. Das war kein Witz gewesen. Der Alte schien das bitterernst zu meinen. Überhaupt sah er nicht aus wie jemand, der Witze machte. »Nie?«, fragte er.
    Ashley sah ihn an. »Was hast du denn genommen?«
    Ravi spürte, dass er errötete. »Hast du einen Kaffee für mich?«, fragte er hastig.
    Ash schenkte ihm wortlos ein und sah den alten Mann fragend an. Der winkte ab und leerte sein Glas Wein. »Ich lasse euch allein«, sagte er. »Amüsiert euch. Aber seid vorsichtig, wenn ihr das Haus verlasst. An Tagen wie heute herrschen die Hrimthursen nicht nur über Jötunheim.« Mit diesen kryptischen Abschiedsworten stülpte er den Hut auf seinen Kopf und ging.
    »Was?«, fragte Ravi.
    Ash zuckte die Achseln und biss in ein Brötchen. »Die Reifriesen«, sagte sie. »Jötunheim ist ihr Land. Immer kalt, Schnee und Eis.«
    Ravi sah sie verblüfft an. »Reifriesen?«
    Sie rührte in ihrem Kaffee. »Herrje, nun lass ihn doch. Er ist nicht ganz richtig im Kopf. Aber er hat recht, es ist bestimmt höllisch glatt da draußen.«
    Nicht ganz richtig im Kopf? Der Alte musste auf irgendeinem Trip hängen geblieben sein, wenn er an Reifriesen und – wie hieß das Land? – glaubte. Ravi nahm ein Brötchen und packte eine Scheibe Käse zwischen die Hälften. »Ich habe eine Flasche Champagner mitgebracht«, sagte er kauend. »Stell sie lieber noch mal kalt. Wir wollten doch Abschied feiern.«
    Ashley nahm die Flasche entgegen und stellte sie wortlos in ihren ziemlich leeren Kühlschrank. »Wann reist du ab?«
    Ravi zog seine gespreizten Finger durch die Haare. »Übermorgen früh.« Die Haare würden als erstes dran glauben müssen. Dann seine Kleider, dann sein Selbst. Er schauderte.
    Ash musterte ihn mitfühlend. »Du könntest dich weigern.«
    So verlockend der Gedanke auch war, er war indiskutabel. »Er würde mich vor die Tür setzen.«
    Ashley grinste,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher