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Projekt Armageddon

Projekt Armageddon

Titel: Projekt Armageddon
Autoren: Susanne Gerdom
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doch Ravi fing das Schlingern ab und richtete die Maschine wieder auf. Er erhöhte das Tempo wieder, um das Motorrad zu stabilisieren.
    Etwas Riesiges, Zottiges, Grauweißes brach durch die Nebelbank und kreuzte ihren Weg.
    »Was war das?«, schrie Ash, zu Tode erschreckt. »Ein Bär?«
    Es war fort, ohne sie zu berühren, aber Ravi verriss die Maschine, die ins Rutschen kam. Plötzlich brachen sie aus der Nebelbank heraus und schlitterten seitlich über die eisglatte Straße.
    Schrillende Sirenen, blitzendes Blaulicht. Eine Dämonenmeute war auf ihren Fersen. Ash klammerte sich an ihn und schrie dagegen an: gegen die Sirenen, das Brüllen des Motorrads, das Quietschen der Reifen und gegen ihre eigene Angst.
    Das Motorrad legte sich auf die Seite, und die Fußrasten schlugen kreischend Funken. Statt sich wieder aufzurichten, rutschte die Maschine wie ein rasender Teufel aus Metall weiter über den Asphalt, zerriss und zertrümmerte Fleisch und Knochen. »Ravi!«, schrie sie seinen Namen, und dann schrie sie nur noch ohne Worte ihre Todesangst in das Inferno aus Lärm, Schmerzen und Blut.
    Blaulicht flackerte, ließ ihre Nerven zucken. Sie lag unter etwas Wärmendem, und der Schmerz war weit fort. Ihre Sicht war eingeschränkt, immer wieder legten sich Schatten über ihr Sichtfeld. Schreie, Rufe, Schritte, laute Geräusche, laufende Motoren.
    Jemand berührte sie, sachkundig, kühl, routiniert. Etwas stach in ihren Arm.
    »Der Junge«, hörte sie eine Männerstimme rufen. »Lasst sie! Kümmert euch um den Jungen!«
    »… zu schwer verletzt«, hörte sie eine leisere Stimme. »Wir sollten ihn nicht bewegen. Der Heli ist unterwegs.«
    Ein Streit, halblaut, erregt, immer wütender und lauter. »Lasst das Mädchen«, brüllte ein Mann. »Sie ist unwichtig. Verdammt, kümmert euch um den Jungen. Wenn er draufgeht, sind wir auch dran!«
    »… der einzige Sohn des Pâdšâh«, hörte Ashley, wegdämmernd. »… Nachfolger …«
    …
    »Tut es weh?« Er saß rauchend neben ihr, hielt ihr nach jedem Zug die Zigarette an die Lippen. Sie inhalierte vorsichtig, um nicht husten zu müssen.
    »Es – tut – weh.«
    »Du bist stark.« Sein Gesicht war halb verdeckt von der breiten Hutkrempe. Er saß im fallenden Schnee wie ein Monument. »Wunschmaid, Schildmaid, Tochterkind. Stark wie deine Mutter. Du wirst sterben, Hjördis.«
    Die nüchterne Feststellung schockte sie eigentümlicherweise nicht. Er sprach nur das aus, was sie ohnehin wusste, denn nun, da ihr Leben aus ihr floh, kehrte ihre Erinnerung zurück. Es war schon oft, viel zu oft geschehen, dass sie sterbend in seinen Armen lag. Nun würde sie ein weiteres Mal einkehren in Hels düsteres Reich, und er würde kommen und sie nach Hause holen. Ihr Afi. Odin. Ihr Großvater.
    Er warf den Zigarettenstummel in den Schneematsch. Immer noch blitzte flackerndes Licht über sie hinweg, ließ die fallenden Schneeflocken glitzern. War es noch das Blaulicht der Polizeiwagen, der Ambulanz – oder blitzte es am Himmel über ihr?
    »Ravi?«, fragte sie.
    »Der Junge?« Er zuckte die Achseln. Gleichgültig. Der Junge betraf ihn nicht. Seine Hand, groß und schwer, legte sich auf ihre Augen, schirmte sie vor den schmerzhaft grellen Blitzen ab. Wohltuend, die Dunkelheit.
    »Ich habe dich gewarnt«, sagte seine tiefe Stimme. »Das ist Jötenzorn, Hrimthursenzeit. Dort sind ihre Spuren im Schnee, und Reifriesenatem haucht in diesem Frost. Ich verfüge über keine Macht, wenn die Frostriesen sich um Midgard zanken.« Er schwieg. Sie lauschte dem dunklen Pochen ihres Blutes, dem schweren Schlag ihres Herzens.
    »Vielleicht war ich auch zu leichtsinnig, und meine Besuche haben den Feind auf deine Fährte gehetzt«, fuhr die tiefe Stimme fort. »Ich muss die Wala * wecken und befragen. Meine Weisheit endet hier.«
    Seine Worte waren wie das Rauschen des Blutes, das langsamer werdende Pochen des Herzens, bedeutungslos, sinnlos, weit entfernt. Alles entfernte sich. Das Licht, der Schnee, die schwere Wärme der Decke. Dunkel und still. Sie öffnete die Augen und blickte zum Himmel, der schwarz und voller Sterne über ihr stand. Blätter rauschten und ein Rabe krächzte. Sie spürte hartes Holz unter sich, die Wurzel eines riesigen Baumes, der nun über ihr aufragte und die Sterne verdeckte.
    Nächtige Dunkelheit war über ihr, um sie herum, und unter ihren Füßen, die frei in der Luft hingen, glänzte es buntgefächert; Lichter, strahlend und so schön, dass der Anblick ihr die Tränen in die
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