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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße
Autoren: Will Berthold
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langsam und bedächtig. Plötzlich sank er in die Kissen zurück, das Glas fiel aus seiner Hand, sein Gesicht veränderte sich mit einem Schlag, verfiel binnen weniger Sekunden.
    Stahmer trat heran und betrachtete Heydrich gleichgültig. Er begriff, daß der Mann einen Rückfall erlitten hatte. Er lächelte. Er ließ sich Zeit. Zum ersten Male war ein Loch in seine Erstarrung gebrochen, in der er seit Margots Tod lebte. Er steigerte sich jetzt rasch zu einem Taumel. Er war frei. Er blähte seine Lunge. Es hämmerte in seinen Schläfen. Er spürte ein spätes, bescheidenes Glück. Er hatte keine Angst mehr. Er brauchte nicht gegen seine Überzeugung zu reden. Mochte kommen, was immer Heydrich befahl, an seiner inneren Freiheit konnte es nichts ändern. Er warf noch einen Blick auf seinen Chef, witterte die Chance und handelte spontan. Er riß die Tür des Vorzimmers auf und schrie: »Um Gottes willen, der Obergruppenführer!«
    Sie stürzten alle gleichzeitig herein. Auch die Kettenhunde, die ihn verhaftet vorgeführt hatten. Sie umringten erschrocken das Lager des Sterbenden. Sie schrien nach einem Arzt. Es dauerte Minuten, bis sich die tumultuöse Panik gelegt hatte. Wertvolle Minuten für einen Mann auf der Flucht, wie Werner Stahmer.
    Jetzt war er in seinem Metier, in seinem Element. Zum erstenmal benutzte er seine Vollmachten für sich, nicht für sie, tauchte er unter, verwischte er seine Spuren, legte falsche Fährten, bluffte und narrte er sie. Er kam durch, schaffte Kilometer um Kilometer, entkam dem Kessel des Protektorats, durchfuhr das Reichsgebiet von einem Ende zum anderen, stand an der schwerbewachten Grenze eines neutralen Landes. Er wußte, daß er es schaffen würde und schaffen mußte. Nicht nur, um sich selbst in Sicherheit zu bringen, sondern um bereit zu sein, wenn es eines Tages galt, die Verbrechen der Prinz-Albrecht-Straße zu untersuchen.
    Es war eine neblige Nacht. Die Zeitungen hatten gemeldet: »Bei dem Attentat am 27. Mai erlitt SS-Obergruppenführer Heydrich durch ein Sprengstück schwere Verletzungen des Brust- und Bauchraumes links der Wirbelsäule, die zunächst keine unmittelbare Lebensgefahr mit sich brachten. Nach anfänglich normal erscheinendem Krankheitsverlauf trat dann am siebten Tag durch eine Infektion eine plötzliche Verschlechterung ein, die am Donnerstag zum Ableben führte.«
    Hitler veranstaltete ein pompöses Staatsbegräbnis für einen aus dem Leben gerufenen Teufel, den er vielleicht schon gefürchtet hatte, aber jetzt lobte. Heydrichs Freunde und Feinde umstanden den Sarkophag und versteckten ihre Erleichterung, daß auch ein Unmensch wie Heydrich sterblich war. Und mit ihm wurde auch der barbarische Haß ausgelöscht, mit dem er ein Land, ein Volk, ein Reich beherrscht hatte.
    Die verlogene Sprache der Propaganda dröhnte hinter Werner Stahmer her. Irgendwo streifte er ein Patrouille, hörte er einen Hund bellen und heranhecheln, Querschläger zischten über ihn hinweg. Ein Sprung noch, und er mußte die andere Seite erreicht haben. Ein paar Sekunden noch, und seine Spur verlor sich für Jahre im Zwielicht des Niemandslandes.
    Werner Stahmer wurde aus den Listen der Prinz-Albrecht-Straße endgültig gestrichen. Auch die Gegenseite gab es auf, seine Spur zu suchen. Keiner wußte, ob er tot war oder nur untergetaucht, bis zu dem Tag, da man vor dem Nürnberger Militär-Tribunal die Verbrechen der Prinz-Albrecht-Straße verhandelte und ein Mann im Saal erschien, dem die Angeklagten wie einem Gespenst entgegenstarrten.
    Und der die Hand hob und als Kronzeuge der Anklage beschwor, was er gesehen und erlebt, gefrevelt und gesühnt hatte.
     
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