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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße
Autoren: Will Berthold
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Straße übersehen. Die Attentäter hatten für ihre Flucht Fahrräder bereitgestellt.
    Alles ging blitzschnell. Als Heydrichs Wagen im Dreißigkilometer-Tempo heranrollte, nahm einer der beiden Arbeiter ein Paket aus der Aktentasche und schleuderte es in den offenen Wagen. Heydrich sprang auf. In der nächsten Sekunde explodierte die Bombe. Ein paar Fußgänger blieben betroffen stehen. Die beiden Arbeiter schwangen sich auf ihre Fahrräder. Heydrich war schwer verletzt, aber er stand noch, riß mit barbarischer Energie die Pistole aus der Tasche und feuerte vergeblich den Flüchtenden nach. Noch konnte keiner der Augenzeugen sagen, was geschehen war. Heydrich brach zusammen, auch sein Fahrer war verletzt. Passanten umringten die Unglücksstelle. Man schaffte Prags eigentlichen Besatzungsherrn in das Krankenhaus und holte den bekannten Chirurgen Professor Hohlbaum herbei, der feststellte, daß Heydrich schwere innere Verletzungen erlitten hatte.
    Der SS-Obergruppenführer war noch bewußtlos, als die Operation angesetzt wurde. Man hatte versucht, den starken Blutverlust durch Transfusionen aufzuhalten. Als der Wundkanal freilag, übersahen die Chirurgen erst die Schwierigkeit der Operation. Die Verwundung reichte bis zum Zwerchfell, die Lunge war nur leicht verletzt, aber die Milz nicht mehr zu retten. Es war eine Operation auf Leben und Tod. Und während die Chirurgen stundenlang in zähem Ringen gegen den Tod kämpften, rief in Berlin die Nachricht von dem Attentat eine regelrechte Panik hervor. Gerüchte jagten sich. Hitler kam das Attentat mehr als ungelegen, es konnte zu einem Signal für die besetzten Völker werden, sich zu erheben. Er schickte die Professoren Sauerbruch und Gebhard als Vertrauensärzte der Reichsregierung an Heydrichs Krankenlager.
    Noch am Tag des Attentats verbreiten die Sendestationen die Meldung: »Gegen den Stellv. Reichsprotektor, SS-Obergruppenführer Heydrich, wurde am Mittwochvormittag in Prag von bisher unbekannten Tätern ein Anschlag verübt. SS-Obergruppenführer Heydrich wurde hierbei verletzt, befindet sich jedoch außer Lebensgefahr. Für die Ergreifung der Täter ist eine Belohnung von zehn Millionen Kronen ausgesetzt.«
    Die schwierige Operation war geglückt. Schon vierundzwanzig Stunden später war klar, daß die befürchteten Komplikationen nicht eintraten. Der Patient erholte sich unglaublich rasch. Zäher Wille assistierte einem robusten Körper. Während die Panzer durch die Stadt rollten, während die Häuser nach den Attentätern durchkämmt wurden, stand wirklich fest, daß der SS-Obergruppenführer Heydrich das Attentat überleben würde.
    Nach ein paar Tagen hatte er sich soweit erholt, daß er seine Arbeit wieder aufnahm. Vom Krankenlager aus gab er seine Befehle. Fraglos war die Operation endgültig gelungen.

83
    Werner Stahmer hatte vor vier Tagen am späten Abend die bewußtlose Margot aufgefunden, gerade als in der Prinz-Albrecht-Straße der Startschuß für die schwedische Aktion endgültig gegeben wurde. Ein Blick in das Gesicht des Mädchens, das friedlich, fast feierlich wirkte, besagte ihm mehr als die gedämpft optimistischen Worte der Ärzte, die Margot in das Krankenhaus schafften und den Magen auspumpen ließen, um sieben Stunden später den amtlichen Totenschein auszufüllen.
    Die Nummer 3402 war ein nachträgliches Opfer des Frauenlagers geworden.
    Stahmer war frei, aber er wußte es nicht. Eigentlich hatte er eine Tote aus den Klauen des KZs befreit, aber so leicht machte er es sich nicht. Er war wie gelähmt. Er sollte flüchten, aber er lebte teilnahmslos, bis sich die braune Bürokratie des Falles annahm; das System, das die Lebenden mordet, überließ nicht einmal die Toten dem Frieden. Von der Polizei wanderte der Totenschein zur Partei. Den Zeitungen wurde verboten, eine Anzeige aufzunehmen, und der Rahmen der armseligen Beerdigung vorgeschrieben. So erschienen nur die nächsten Angehörigen Margots und in geziemender Distanz ein Außenseiter, der ihnen nicht in die Augen zu sehen wagte.
    Es waren nur ein paar hundert Meter zu der offenen Grube, aber Werner Stahmer schien es ein endloser Marsch zu sein. Er hörte den monotonen Rhythmus der Gebete, ohne darauf zu achten. Die Sonne leuchtete teilnahmslos auf die Blumen in den Kränzen, nistete sich ein in den Schleifen, saugte sich fest im Schwarz der Trauergäste. Eine helle Glocke läutete hektisch, gleich würde der Pfarrer, ein würdiger, alter Herr, mit seinen wohlgesetzten Worten
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