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Priester des Blutes

Priester des Blutes

Titel: Priester des Blutes
Autoren: Douglas Clegg
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Morwenna es stündlich in einem Moor in der Mitte des Waldes baden müsste, einem Moor, in dem Beeren wuchsen, die die Kranken heilten oder die Gesunden vergifteten. Und das Moor war nur den Weisen Frauen bekannt. »Ihr Kind benötigt diese stündlichen Taufen, sonst wird es mit Sicherheit sterben«, meinte meine Mutter. »Sie ist eine sehr gute Frau, trotz allem, was die Leute aus dem Dorf sagen mögen.«
    Einmal zog ich aus Neugierde den Schleier ein wenig beiseite und sah mir das Gesicht des Säuglings an. Seine Hässlichkeit ging über alles hinaus, was ich je gesehen hatte, auch wenn die Augen wie Teiche aus klarem blauem Wasser wirkten. Ich hörte ab und zu das Wort »Wechselbalg«, und dass das Kind in Wirklichkeit nicht Mere Morwenna gehörte, sondern gefunden worden war, in dem Spalt einer vom Blitz gespaltenen Eiche stckend. Die Geschichten über die Waldfrauen waren alle von dieser Art - es gab nichts Gewöhnliches an dieser Welt, und ich liebte jeden Besuch bei ihnen.
    Wir wussten damals, dass Zauberei und Hexerei verboten waren, aber diejenigen, die außerhalb des Schlosses lebten, draußen im Morast, wandten sich nicht gegen die Weisen Frauen des Großen
Waldes. Weder war die Bretagne hinsichtlich ihrer Gedankenwelt so starr, noch lebte ihr Volk so weit entfernt von den althergebrachten keltischen Bräuchen. Während die Welt der Christenheit unser Leben bestimmte und das christliche Evangelium unser Seelenheil bedeutete - wenngleich niemand außer den Mönchen es zu lesen vermochte -, war das fieberhafte Streben danach, den Alten Glauben zu zerstören, noch nicht so heftig, wie es sehr bald werden würde.
    Mere Morwenna war unsere Hebamme. Mit den beiden Schwestern Brewalen und Gwenvred, die ihr halfen, pflegte sie in die Häuser zu kommen, wenn Geburten zu schwer waren. Für uns Leute vom Lande waren sie von großem Wert, und sie ver fluchten nicht den Priester oder die Heilige Mutter, wenn man mit ihnen über die Seele sprach. Mere Morwennas Hand fühlte sich wie Feuer an, wenn sie kalt war, und ihre Augen waren kleine schwarze Steine inmitten eines faltigen, aber gütigen Gesichtes. Ihr Haar war vom Alter weiß. Und als ich sehr jung war, wiegte sie mich auf ihrem Schoß, nachdem meine Mutter mit meinem kleineren Bruder oder meiner kleineren Schwester eingeschlafen war. Sie erzählte mir von meiner Geburt, und dass sie zwar nicht da gewesen war, um mir auf die Welt zu helfen, dass sie mir aber große Dinge vor hergesagt hatte, sobald ich in den Wald zu ihr gebracht worden war. Ich fragte sie sehr oft, worin diese großen Dinge bestanden.
    »Eine Prophezeiung, die demjenigen erzählt wird, der sie erfüllen muss, bedeutet ein unterbrochenes Schicksal«, erwiderte sie mehr als einmal.
    »Aber du musst es mir erzählen«, beharrte ich.
    Wenn ich dann einen Wutanfall bekam, weil ich nichts über mein Schicksal erfuhr, nahm sie meine Hand, küsste die Mitte meiner Handfläche und spähte über die Windungen meiner Finger und die leicht zerknitterten Linien zwischen den Fingern bis nach unten zu meinem Handballen. »Alles, was ich dir er zählen
kann, ist dies: Aus den kleinsten Dingen kann große Bedeutung entstehen.«
    »Werde ich bedeutend sein? Eines Tages?«
    »Viel leicht«, antwortete sie, indem sie mir fest in die Augen sah. »Wir leben in einer Welt, in der diejenigen, die schwach zu sein scheinen, die Stärksten sind. Und diejenigen, die stark zu sein scheinen, besitzen keine wirkliche Macht. Eines Tages, wenn es dir scheint, als habest du große Macht, musst du dich daran erinnern, denn im Augenblick deiner größten Stärke bist du auch am schwächsten.«
    Ich lachte über sie, denn ich war zu jung, um das zu verstehen, und sie lachte ebenfalls und wandte sich wie der dem Wiegen des kleinen, verschleierten Säuglings in ihren Armen zu.
    Mere Morwenna er zählte mir noch mehr Geschichten über den Wald, über einen uralten Brunnen und eine große, grässliche Bestie mit Flügeln, die von irgendeinem Helden in alter Zeit in einer Falle gefangen worden war; über eine Quelle, die zwar allen Menschen verborgen blieb, aus der aber Wasser floss, das die Kranken heilen konnte und dafür sorgte, dass diejenigen, die davon tranken, entweder einen plötzlichen, schmerzhaften Tod starben oder ewig jung blieben. Nach ihren Erzählungen gab es im Wald auch Wasserläufe, die unter die Erde in die darunterliegenden Höhlen flossen, und uralte Zeichnungen schmückten die Felswände dieser dunklen, feuchten
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