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Price, Richard

Price, Richard

Titel: Price, Richard
Autoren: Clockers
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bedrückt.«
    »Bedrückt?«
    »Innendrin
irgendwie.« Strike ließ seine Stirn für einen Moment auf die Tischplatte sinken
und fuhr dann schnell wieder hoch.
    »>Ich
kenn auch jemanden, der es tun würde<«, zitierte der Cop wieder. »Wie sah er
aus, als er das sagte?«
    »Er sah
ganz normal aus. Er saß einfach vor seiner Serviette und -«
    Strike
erstarrte, hatte gerade das Gekritzel seines Bruders verraten, und der Cop
bemerkte es, sah aber drein, als sei das nichts Aufregendes, als wüsste er das
sowieso schon.
    »>My
Man, er macht es umsonst. Er macht es für mich.<« Der Mordcop blinzelte und
legte den Kopf schief. »Oder für dich!«
    »Nein, für
Victor. Wissen Sie, er redete, als ob sie enge Freunde wären.«
    »Enge
Freunde«, murmelte der Cop, versank dann wieder in Gedanken. Strike starrte
die alten Kalenderblätter über dem Kopf des Cops an. Er dachte an Victor. Im Knast.
    »My Man«,
verkündete der Cop leichthin, und es klang weder fragend noch herausfordernd.
    Strike
fing wieder an zu reden. »Nun, ich wollte ihn nicht nach einem Namen fragen,
also ...«
    »Nein,
hmm?« Der Cop klang beinahe amüsiert.
    »Ja, ich
meine, ich sagte: >Kenn ich den Typen?<«
    »Ja, und?«
    Strike
blieb still. »Er meinte, er wüsste nicht, wen ich so alles kennen würde.
Vielleicht ja.«
    »>Vielleicht.<«
Der Cop äffte ihn mit hoher dünner Stimme nach.
    Strike
starrte wieder den Kalender an. Die Luft war schwer und stickig, als befänden
sie sich am Grund des Meeres.
    »Werden
Sie Rodney jetzt verhaften?«
    Der Cop
antwortete nicht.
    »Verhaften
Sie mich?«
    Immer noch
keine Antwort.
    Strike
legte das Schweigen als möglicherweise gute Nachricht aus und schüttelte müde den
Kopf. Und dann entfuhr es ihm: »Was passiert jetzt mit Victor?«
     
    Rocco saß
zusammengesunken auf seinem Stuhl, ignorierte Strikes Fragen und dachte daran,
wie er den Fall mit Jimmy Newton im Res taurant durchgegangen war und wie
er ihn gefragt hatte, wann er wohl jemals einem wirklich Unschuldigen begegnen
würde. Ein paar Tage später hatte er sogar gesagt: »Dieser Junge ist so rein
wie Neuschnee.«
    Jetzt
schien alles so offensichtlich: Das einzige Rätsel war, wie er so lange so
blind gewesen sein konnte.
    Rocco
hörte den brüllenden Chor der Stimmen in seinem Kopf, die Leumundszeugen, die
ihm den größten Teil der Woche über die Wahrheit löffelweise verabreicht
hatten. Er stellte sich noch einmal den Tag vor, an dem Victor Dunham Darryl
Adams erschossen hatte: Der Junge stand steif und schüchtern stundenlang in
einer Boutique auf der Columbus Avenue, verscheuchte ein paar Clockers aus dem
>Hambone's<, ging dann früh zu >Rudy's<, nahm ein paar Drinks zu
viel, hörte sich Strikes bösartiges Gerede an, brütete über seinen Tag, sein
Leben, dachte über diesen Drogendealer auf der anderen Straßenseite nach, die
Waffe in der Sporttasche zu seinen Füßen ...
    Es gab
keinen Grund daran zu zweifeln, dass Victor die 9 -mm-Waffe
gefunden hatte und seit Wochen damit herumgelaufen war, wie eine Stange
Dynamit, die ihre eigenen Streichhölzer dabei hat. Mazilli hatte schon
irgendwie recht: Die Schießerei war nur der Abschluss eines beschissenen
Tages.
    Und er
hatte nach zwanzig Jahren eine Mission.
    Also, wenn das kein Unschuldiger ist.
    Ich weiß,
wann jemand schuldig ist und wann nicht.
    Strike
hüstelte nervös und riss Rocco aus seinen düsteren Gedanken. Rocco sah in das
angespannte Gesicht des Jungen. Dieser Bursche war genauso blind gewesen, und
beide waren sie durch ihre längst verlorengegangene Unschuld irregeleitet
worden.
    »Es war
Victor, der Darryl erschossen hat, stimmt's?«, sagte Strike mit schwerer Stimme
und sah Rocco offenen Mundes an, als warte er auf eine Erklärung.
    Rocco
stellte überrascht fest, dass er dem Jungen nicht in die Augen sehen konnte.
Er starrte ins Weite und hörte wieder die Worte der Mutter: >Wenn er sagt,
er hat es getan, dann hat er es getan. Warum glauben Sie ihm nicht
einfach?<
    Weil er,
antwortete Rocco ihr jetzt, den anderen Bruder als Täter brauchte, er brauchte
diese Brudersymmetrie, um den Geist einer Mission heraufzubeschwören, um sich
selbst in diesem Job zu verankern, bevor er in seinen eigenen banalen
Schrecken ertrank. Er hatte Victor einfach nicht als Täter sehen wollen und
damit alles versaut.
    »Scheiße
...«, flüsterte Strike und schüttelte den Kopf.
    Dann fiel
Rocco ein weiterer Satz der Mutter ein: Er hat Ihnen gesagt, es war Notwehr.
Sie hatte auf dieser blanken Lüge
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