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Price, Richard

Price, Richard

Titel: Price, Richard
Autoren: Clockers
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andere Weise
doch immer das kürzere Streichholz zog.
    Der Cop
fasste ihn am Arm. »Komm schon.«
    Strike
spürte, wie sein Widerstand zusammenbrach, doch dann sprach der Bursche leise
zu seinen Schuhen. »Ich kenne den Typen nicht.«
    Strike
wandte seinen Blick ab, um dem Jungen nicht in die Augen sehen zu müssen. Er
merkte, wie er rot wurde, und er wollte nicht, dass die Cops die Röte in seinem
Gesicht falsch deuteten.
    Die Cops
berieten sich kurz untereinander und zuckten dann allesamt mit den Schultern;
sie hatten ihren Fang für den Abend.
    »Also, was
tust du dann hier?«, sagte der kahlköpfige Cop.
    »Ich
wollte gerade die Stadt verlassen.« Strike nickte heftig und nahm an, dass Cops
diese Antwort immer gern hörten. »Ich bin dabei wegzufahren.«
    Strike
trat zurück, sah, wie die Blicke der Cops ihm folgten, und trat an den nächsten
Schalter. Als er in der Schlange stand, warf er einen Blick auf die
Abfahrtsanzeige direkt über seinem Kopf und las wieder die Städtenamen
»Washington, D.C.«, sagte Strike und warf ein paar Scheine vor das vergitterte
Fenster.
    »Washington,
D.C.«, wiederholte der Schalterbeamte, nahm Strikes Geld und wandte sich der
Tastatur seines Computers zu.
    »Nein,
warten Sie.« Strike starrte immer noch die Städtenamen an. »Philadelphia ...
Ja, Philadelphia.«
    Der Beamte
warf ihm einen kurzen Blick zu und begann, das Geld noch einmal zu zählen.
    »Warten
Sie einen Moment, warten Sie ...« Strike wedelte mit der Hand und leckte sich über
die Lippen. »Eine Sekunde bitte, nur eine S-Sekunde.«
    Eine halbe
Stunde später saß Strike hinter dem getönten Fenster eines Busses und sah auf
eine dünne Schlange von Passagieren hinab, die sich in der zugigen
Abfertigungshalle weiter nach vorn bewegte. Er hielt ein Rundfahrtheftchen in
der Hand, und das Dutzend Tickets ragte wie ein Fächer aus seinem Griff. Strike
dachte darüber nach, wo er aussteigen sollte, Newark war in etwa einer halben
Stunde dran, aber da würde er unter keinen Umständen
aussteigen. Der Bus hatte reguläre Zwischenstopps in Philadelphia, Washington,
Raleigh und Atlanta, aber mit seiner Handvoll Tickets konnte er einfach
irgendwo aussteigen und irgendeinen anderen Bus nehmen, der sonst wohin fuhr.
    Strike
dachte an den Drogenkurier, der ihn vor den Port-Authority-Cops gerettet hatte.
Der Bursche hätte das nicht tun müssen; er hatte vorher Strike um Hilfe
gebeten, und Strike hatte ihn abgewiesen. Strike konnte es nicht fassen: Die
Leute fielen heute geradezu vom Himmel, um ihm aus der Scheiße zu helfen, als
ginge es um eine Botschaft, einen Segen, eine Warnung.
    Er dachte
an Victors Sohn, der ihn am Telefon Daddy genannt hatte: Einen Augenblick lang
war er in Victors Welt gezogen worden, hatte Victors Verlust gespürt, und das
Echo der kindlichen Stimme ließ Strike unruhig auf seinem Platz herumrutschen.
Er wollte, dass der Bus endlich losfuhr.
    In neunzig
Minuten war er in Philadelphia, und Strike fragte sich, ob er dort aussteigen
und all diese Tickets zu Geld machen sollte. Dann entschied er, dass er
wahrscheinlich doch im Bus bleiben und bis nach Washington, vielleicht sogar
bis Atlanta weiterfahren würde. Vielleicht würde er es eine Weile im Süden
versuchen, oder vielleicht würde er noch ein Ticket benutzen und nach Westen
fahren. Das konnte er immer noch entscheiden, wenn es so weit war. Er konnte
fahren, wohin er wollte, er brauchte nur zu sehen, wie er sich fühlte, wenn er
irgendwo ankam.
    Außerdem
gab es kaum einen Ort in Amerika, wo es kein Münztelefon gab. Man konnte
einfach hingehen und anrufen, wen immer man wollte.
     
    Unbemerkt
nahm Rocco seine übliche Ausgangsposition im Rücken der Meute ein. Er
beobachtete Mazilli und Rockets, die mit der Leiche beschäftigt waren,
Rockets, der ein paar Blitzlichtaufnahmen von dem Toten machte, während Mazilli
die Fotos auf einem Klemmbrett ordnete.
    Der
Ermordete war etwa achtzehn, neunzehn Jahre alt. Er war groß und hager und lag
rücklings in einer Pfütze, und seine Augen starrten zu der zerfledderten
Markise eines seit langem geschlossenen Kinos hinauf. Selbst aus zehn Metern
Entfernung zählte Rocco von den Lenden bis zum Schlüsselbein mindestens ein
Dutzend Einschusslöcher. Etliche Patronenhülsen lagen etwa sechzig Zentimeter neben
dem linken Arm, ein paar weitere gut einen Meter von seinem rechten Fuß
entfernt. Das Opfer war offensichtlich in einem Kreuzfeuer umgebracht worden,
und Rocco fragte sich, was der Junge wohl getan haben
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