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Price, Richard

Price, Richard

Titel: Price, Richard
Autoren: Clockers
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bezahlen musste. Und man musste
dafür bezahlen, ganz gleich, wer man war. Eines von Rodneys Lieblingszitaten
stammte von irgendeinem Milliardär: »Zehn Cent sind zehn Cent.« Strike drehte
die Flasche auf, legte fünfzig Cent auf den Tresen und wanderte auf und ab, war
ruhelos, hasste es, auf Leute zu warten, wenn man zu viel Zeit hatte und wirres
Zeug dachte.
    Das
Neonlicht prallte hart von den Spanplatten wänden ab. Rodney besaß zwei solcher
Läden plus Würfelspielhalle, und sie alle waren mit diesen salamigemusterten
Pressholzplatten ausgeschlagen. Der Mann machte zwanzig- bis vierzigtausend
Dollar mit den zwei oder mehr Kilo, die Strike und seine beiden anderen
Offiziere jede Woche verkauften, aber er dachte nicht daran, anständiges Holz
zu nehmen oder gar einen Farbanstrich aufzutragen.
    Strike
wandte sich Rodneys Diplomen zu, zumeist Fernkursabschlüssen, die alle in
Woolworth-Bilderrahmen an Reißzwecken hingen, die in die Spanplatten gedrückt
waren. Strike hielt das alles für ziemlichen Blödsinn von Rodney - wer ging
denn schon zur Schule, um Haareschneiden zu lernen? Außerdem wusste er, dass
Rodney das Frisieren in Wirklichkeit im Knast gelernt hatte.
    Trotzdem
spürte Strike ein leichtes Ziehen, als sein Blick auf das New-Jersey-State-Highschool-Abschlusszeugnis
fiel. Er selbst hatte nie eine Schule beendet. Wenn man Geld
verdienen wollte, hatte man Besseres zu tun, als seine Zeit mit Lernen zu
vertrödeln. Jeder konnte einen Highschool-Abschluss machen, wenn er durchhielt,
aber er führte zu nichts, außer zu noch mehr Schule oder irgendeinem nach
Stunden bezahlten Job.
    Außerdem
hatte sein Stottern jeden Schultag zur Hölle gemacht. Keiner machte sich direkt
über ihn lustig, aber sie beobachteten ihn ständig beim Sprechen, und
normalerweise riefen ihn die Lehrer nicht auf, wenn die Antwort aus mehr als
einem Wort bestand. Einmal, in Englisch, nach einer besonders heftigen Attacke
mit Kopfwackeln und Augenflattern, hatte der Lehrer gesagt: »Nun, wir haben
einen Claudius unter uns.« Nach der Stunde hatte sich Strike vor ihn
hingestellt und eine Erklärung verlangt, und der Kerl hatte sich damit
herausgeredet, dass Claudius Kaiser von Rom gewesen sei, doch seine Nervosität
hatte ihn verraten. Die Schule hatte Strike vor Wut magenkrank werden lassen,
und die Sprachtherapiestunde, die er an zwei Nachmittagen die Woche nahm, war
eher eine Strafe denn eine Hilfe gewesen, weil die anderen beiden Kinder in der
Therapie nahezu zurückgeblieben waren; Strike fiel ein, dass die Therapeutin
nach Cafeteria gerochen hatte, wie ein riesiger Kessel kochendheißer Hotdogs.
Irgendwie überraschte es ihn nicht, dass sich sein Stottern von dem Augenblick
an gebessert hatte, als er die Schule sausenließ, so dass seine Zunge ihm
jetzt, außer an schlimmen Tagen wie heute, nur noch selten in die Quere kam.
    Dennoch,
ein schlechter Schüler war er nicht gewesen. Einmal, in der zehnten Klasse,
rief ein Lehrer seine Mutter an und erzählte ihr von einem Internat oben in Maine,
das Stipendien an Großstadtkinder vergab. Ein paar Wochen später machte er
einen dreistündigen Test in Englisch und Mathematik und verbrachte dann weitere
drei Stunden damit, von einem weißhaarigen Weißen und danach einer schwarzen
Dame mit Afroschnitt und einer Brille an einer Glasperlenkette befragt zu
werden. Er wurde nicht aufgenommen: Er war klug, aber es gab andere Kinder, die
klüger waren, und damit hatte sich's.
    Abgelehnt
zu werden hatte ihm nur deswegen gestunken, weil das bedeutete, dass seine
Mutter einen Arbeitstag vergeudet hatte. Arbeit war für sie immer eine Art
Religion gewesen, und Strike konnte sich an keine Zeit erinnern, zu der seine
Mutter nicht mindestens zwei Jobs hatte, manchmal drei: alles Mögliche, von
Altenpflege über Kellnerin bis hin zur Supermarktkassiererin. Er musste seinen
Ehrgeiz wohl von ihr haben - den und seinen schlechten Magen. Er erinnerte sich
an ihre Küche in der Roosevelt-Siedlung: all diese Flaschen mit dem kreidigen
Zeug, das sie trinken musste, und manchmal der angetrocknete Rest von der
Medizin um ihren Mund. Wenigstens hatte er nicht ihr Asthma geerbt.
    Als Rodney
schließlich unter dem Gewicht von drei Plastikkästen Coca-Cola schwankend
hereinkam, war es wie ein Unterwassersog: Alle fühlten sich von seiner Präsenz
angezogen. Selbst das Baby strampelte mit den Beinen und brüllte. Die Kids um
den Pooltisch und das Videospiel vergaßen ihre Beschäftigung und begannen, seinen
Namen
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