Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
PR2606-Unter dem Stahlschirm

PR2606-Unter dem Stahlschirm

Titel: PR2606-Unter dem Stahlschirm
Autoren: Hubert Haensel
Vom Netzwerk:
für den Nebel. Und der Himmel, mal oben und dann wieder unten ...« Sie bedachte Zosimo mit einem durchdringenden Blick.
    Der schlaksige Terraner lächelte leicht melancholisch. »Gegenläufige Schwerkraftvektoren. Was oben war, ist plötzlich unten oder führt in irgendeinem schrägen Winkel weiter. Ich kenne das von Bord der BASIS. Dort wurde optimale Raumausnutzung betrieben.«
    »Du warst auf der BASIS?«, fragte Jenke überrascht.
    Ein wenig nachdenklich schaute der Pilot auf seine Hände, dann schüttelte er den Kopf. »Datenkristalle«, murmelte er. »Hypnoschulung, erhältlich nur bei Bedarfsnachweis, Weitergabe an psychisch nicht hinreichend gefestigte Personen untersagt. Die BASIS ist wirklich eine Erfahrung: Korridore, die urplötzlich senkrecht vor dir in die Tiefe abfallen. Du glaubst, in die Tiefe zu stürzen, aber wenn du die Angst überwindest, hast du nur das Gefühl, auf einer Ebene weiterzugehen. Wenn du dich dann umdrehst ...«
    »... glaubst du, auf der Ebene zu stehen, aber ein paar Sekunden vorher senkrecht aus der Tiefe heraufgekommen zu sein.«
    Zosimo schluckte. Er nickte heftig. Es war in der Tat nicht jedermanns Sache, sich unter dem Einfluss wechselnder Schwerkraftfelder zu bewegen. Manche schafften es ihr Leben lang nicht. Jenke Schousboe kannte solche Empfindungen. Die BASIS war das zweite der beiden großen Fernraumschiffe der terranischen Menschheit nach der deutlich kleineren SOL und immer noch – oder besser gesagt: wieder – im Dienst. Es gab allerdings einige planetare Stationen, die mit derartigen technischen Kniffen aufwarteten.
    Vielmehr: Es hatte sie gegeben. Auf einer davon hatte sie fast zwei Jahre verbracht. Was aus jener Station geworden war, aus dem betreffenden Sonnensystem, überhaupt aus der Milchstraße – sie dachte besser nicht darüber nach. Im nächsten Augenblick wunderte sie sich über die Wahrnehmungsverschiebung. Wer sagte denn, dass etwas mit der Milchstraße passiert sein musste? Vielmehr war doch davon auszugehen, dass dieses Etwas mit dem Solsystem geschehen war ...
    »Wir übernehmen beide die Steuerung«, sagte sie, eine Nuance leiser als zuvor. »Du kannst beweisen, dass Datenkristalle nicht nur plumper Zeitvertreib sind.«
    Dichter Nebel hüllte den SKARABÄUS ein. Minuten später tobte ein heftiges Gewitter. Ohne dass ersichtlich wurde, woher die Wassermassen kamen, ging ein sintflutartiger Regen nieder.
    Als der Regen schlagartig gefror, erkannte Jenke, dass die Schwerkraft erneut gewechselt hatte. Eisige Polarluft flutete heran.
     
    *
     
    Ihr werdet einem Torwächter begegnen ...
    Aiden Cranstouns Stimme klang in Jenkes Gedanken nach. Aber eigentlich war das, was er unmittelbar nach dem Umbau der VAHANA zum FATROCHUN gesagt hatte, von Zachary gekommen. Von dem toten Zachary Cranstoun, dessen Denkherz im Kontinuierlichen Sediment weiterlebte, als Teil einer großen Gemeinschaft. Es war verrückt, zu wissen, dass sie Zachary nie wiedersehen und niemals mehr seine Lippen spüren würde.
    Ebenso verrückt war das Wissen, dass es ihm gut ging, dass er seine Erfüllung gefunden hatte und dass sein leiblicher Tod nur ein Anfang gewesen war, kein Ende. Er hatte das selbst gesagt, aus dem Mund seines Zwillingsbruders Aiden.
    Obwohl es ihr schwerfiel, verdrängte Jenke Schousboe die Erinnerung. Sie brauchte einen klaren Kopf, denn die Schwerkraft wechselte mittlerweile sehr schnell. Wie ein Schiff im Orkan auf hoher See stampfte und schlingerte der SKARABÄUS durch den Nebel der sich miteinander vermischenden Atmosphären.
    Vor wenigen Minuten hatte Jonas das Schiff gerade noch abgefangen, bevor sich spitze Felszinnen in den Rumpf bohren konnten. Wie ein schillerndes Insekt von der Nadel eines Koleopterologen, so wäre die VAHANA, der robuste kleine »Kristallkäfer«, von den Felsen aufgespießt worden. Es war die richtige Entscheidung gewesen, gemeinsam zu steuern. Sie selbst hatte das Schiff gerade noch zur Seite ziehen können, als zwei Gravitationsfronten wie Mahlsteine aufeinandergeprallt waren. Heftige energetische Entladungen hatten in diesem Bereich das ewige Eis geradezu verdampfen lassen.
    Der neue Horizont, den Menschen und Favadarei an Bord des SKARABÄUS' suchten, ähnelte zumindest im Moment einem zerschlagenen, in tausend Splitter zersprungenen Spiegel. Und jeder Splitter gehorchte eigenen Gesetzen.
    »Der Nebel reißt auf!«
    Wieder einmal. Jenke blinzelte gegen den Schweiß an, der in ihren Augen brannte. Sie hatte den Helm ihres
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher