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PR 2620 – Fremde in der Harmonie

PR 2620 – Fremde in der Harmonie

Titel: PR 2620 – Fremde in der Harmonie
Autoren: Christian Montillon
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schäbige Maske sehe ich sogar den breiten Mund im haarlosen Kopf. Die lang gestreckten, dünnen Finger bewegen sich langsam. Die Kugelaugen quellen hervor, die Pupillen bilden lange Spalten in der orangefarbenen Iris. Mein Kehlsack bläht sich auf, und die Luft entweicht pfeifend wie bei einem alten Kandran. Einer der spitzen Zähne im Oberkiefer fehlt, und plötzlich schnellt die Fangzunge mehr als zwei Meter weit aus dem Mund; sie ist immer noch kräftig. Meine ölige, graubraune Haut ist übersät von Warzen und glänzt vor Feuchtigkeit.
    Der Anblick weckte starke Traurigkeit und die Gewissheit von Vergänglichkeit. Außerdem empfing ich eine mentale Botschaft, die mir versicherte, dass dieses Abbild aufgrund genauer biometrischer Messungen und Prognosen erstellt worden war.
    Wenigstens trug ich noch das kleine, nestförmige Hütchen, den Rest von meiner ...
    Ich fluchte, als ich bemerkte, wie sehr mich dies alles ablenkte. Ich verhielt mich wie ein blutiger Anfänger!
    Mein Gegner war raffiniert; zweifellos hatte er mich mit voller Absicht ausgerechnet an diese Stelle geleitet. Und ich war ihm gefolgt wie eine Figur im Schauspiel, die ihren vorgegebenen Text spricht und die Wege geht, die der Regisseur ihr vorschreibt.
    Es ärgerte mich maßlos, und ich ging weiter. Endlich lag das Abbild hinter mir. Ich sah gerade noch, wie mein Feind durch die mittlere von drei nebeneinanderliegenden Türen floh.
    Oder doch nicht?
    War er es wirklich gewesen?
    Die beiden anderen Türen bewegten sich ebenfalls, als wären sie gerade erst benutzt worden.
    Ich sprang hindurch, auf alles gefasst, und sah mich mit einer Vielzahl von Jugendlichen konfrontiert, alle im Alter des Unharmonischen.
    »Ich bin ein Harmoniewächter!«, schrie ich. »Wo ist der Jyresca, der vor mir flieht?« Auf diese Frage erntete ich etwas, das ich niemals erwartet hatte:
    Keiner der Schüler unterstützte mich. Nicht einer von ihnen tat seine Pflicht. Stattdessen griffen sie mich an!
    Fäuste reckten sich in meine Richtung, einer aus der Menge schwang sogar einen Knüppel aus Metall. Pfeifend zischte er auf meinen Kopf zu. Ich duckte mich, stieß gleichzeitig den Arm nach oben und bekam die Waffenhand zu packen.
    Ein Ruck, und der jugendliche Angreifer – nein, die Angreiferin – fiel mir entgegen. Sie war dürr, leicht wie eine Feder und roch nach einem durchdringenden Parfüm. Der Duft verwirrte meine Sinne wie Drogenrauch.
    Einen Augenblick lang blitzte es vor meinen Augen.
    Das war doch kein Zufall! Was ging hier vor? Standen etwa all diese Schüler mit dem Unharmonischen im Bunde? Oder sollten sie alle ...
    ... Fremde sein?
    Das konnte nicht sein! Bei TANEDRAR, das konnte und durfte einfach nicht sein! Und so war es auch nicht, wie ich trotz der Verwirrung durch die Duftstoffe deutlich roch.
    Ich stieß das Mädchen von mir, einem Schüler entgegen, in dessen Hand ein Messer blitzte. Sie fiel auf ihn, riss ihn zu Boden. Der Aufschlag prellte ihm die Klinge aus der Hand; sie schlitterte beiseite.
    Zwei Jungen gingen zum Angriff über.
    Kinder, anders konnte ich sie nicht nennen.
    Einerseits war das natürlich mein großes Glück, denn gegen insgesamt acht erwachsene oder sogar ausgebildete Gegner hätte ich mich kaum effektiv zur Wehr setzen können – andererseits verwunderte es mich.
    Was trieb diese Kinder und Jugendlichen an? Ihr Verhalten war – unmöglich! Sie waren Escalianer!
    Den Faustschlag des einen blockte ich ab, dem Tritt des anderen wich ich aus und schlug ihm gleichzeitig das Standbein weg. Er landete unsanft auf dem Rücken.
    Dann überraschte er mich doch, denn ein kräftiger Schwanz klatschte mir wie eine Peitsche gegen den Hals.
    Der Junge war einer der affenartigen Pondorik, von denen nur wenige auf Klion anzutreffen waren! Wie hatte ich das nur übersehen können!
    Der Schlag trieb mir die Luft aus dem Kehlsack. Mein ganzer Körper krümmte sich vor Schmerzen instinktiv zusammen.
    Plötzlich war wieder jemand heran, mit einem merklich längeren Messer als der erste Angreifer. Ich stieß mich mit den Hinterbeinen ab, streckte mich in der Luft, flog über sie hinweg, rammte einem den Fuß gegen die Stirn und landete klatschend.
    Sie schrien.
    Ich wirbelte herum, schlug zu. Mit einem Krachen brach ein Handgelenk. Einer der Schüler jaulte vor Schmerz. Andere wichen zurück.
    Dann entdeckte ich den Unharmonischen, schon ganz am Ende des Korridors, wo eine Panorama-Türfront wieder ins Freie führte. Doch er war nicht allein.
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