Power Down - Zielscheibe USA (German Edition)
Himmel. Es dauerte ein paar Minuten, dann stoppte der Aufzug auf Höhe der Dammkrone. Mihailovic stieg aus und betrat die Einsatzzentrale.
»Hat einer von euch Jake gesehen?«
»Nein, Sir«, antwortete einer der Techniker. »Nicht seit dem Schichtwechsel.«
»Mitternacht.«
»Yep.«
»Wissen Sie noch, wer die letzte Schicht hatte?«
»Neds Crew.«
Mihailovic schnappte sich ein Telefon von einem der Schreibtische und rief Ned Waters an, einen der fünf Vorarbeiter, die die Techniker-Teams leiteten.
»Hallo«, antwortete eine Stimme, die völlig erschöpft klang.
»Ned, ich binʼs, Arnie.«
»Hi. Was ist los?«
»Ich stehe gerade hier oben in der Einsatzzentrale. Die sagten mir, deine Leute hatten die letzte Schicht.«
»Ja, das ist korrekt.«
»Wir suchen Jake. Er ist verschwunden. Kam gestern Abend rein, hat sich aber nicht ausgetragen.«
»Yeah, ich hab ihn gesehen. Saß bis kurz vor Mitternacht in der Einsatzzentrale. Dann ging er raus, um eine zu rauchen.«
»Hast du ihn wieder reinkommen sehen?«
»Wenn ichʼs mir recht überlege: nein. Aber das ist nicht weiter ungewöhnlich. Manchmal verschwindet er stundenlang für eine Zigarette.«
Mihailovic legte den Hörer auf. Rasch schritt er durch die Einsatzzentrale zu der Tür, die in den Überwachungsbereich führte. Er kletterte die Stufen zur Plattform hinauf. Als er auf dem Damm ankam, wehte ihm der Wind gnadenlos ins Gesicht.
»Verdammte Scheiße!«, murmelte er.
Es war ein stürmischer Tag. Am östlichen Horizont zeichneten sich unzählige Schaumkronen auf dem finsteren Ozean ab. Direkt unter ihm brachen sich die Wellen an der Staumauer. Mihailovic ging zur anderen Seite der Absperrung und spähte auf den Abflussbereich hinab. Ein steter Wasserstrom passierte dort unten die Turbinen.
In der Ferne scharten sich Menschen am Ufer des Stausees. Sein Handy klingelte. Hastig wich er zurück an die Tür der Einsatzzentrale.
»Mihailovic.«
»Ich binʼs, Rand. Sie sollten besser hier runter kommen.«
Mihailovic schloss die Augen. »Bin sofort da. Rühren Sie nichts an. Verstanden?«
»Ja, Sir!«
Fünf Minuten später näherte sich Mihailovic den Leuten, die sich mit düsteren Mienen am Ufer versammelt hatten, und erinnerte sich an seine erste Begegnung mit White zurück. Damals hatte Mihailovic als Wachmann im Atomkraftwerk von Perry Nachtdienst geschoben. Eines Nachts entdeckte er White bewusstlos unter dessen Schreibtisch, sturzbetrunken. Anstatt den Vorfall zu melden, hatte er White in seine Wohnung nach Shaker Heights gebracht. Er erwähnte den Vorfall niemals, nicht einmal gegenüber Jake. Seitdem waren sie die besten Freunde.
Ein paar Dutzend Leute hatten sich um die Leiche versammelt. Er bahnte sich einen Weg durch die Menge.
Jake White lag bäuchlings auf der Erde. Sein ungeschützter Schädel starrte ausdruckslos in den kalten Dezemberhimmel. Sein Hals war auf groteske Weise auf der Wirbelsäule verdreht, sodass sich sein Gesicht nach oben wandte, während seine Brust gegen den kalten, aufgeweichten Boden gepresst wurde. Wie Mihailovic feststellte, hatte jemand den Hals des Mannes fast vollständig durchtrennt. Seine Kleidung – beziehungsweise das, was davon übrig war: ein Paar grüner Kakihosen und ein weißes T-Shirt – hing in Fetzen. Der linke Arm fehlte, an der Schulter abgerissen, eines der Beine war mit einem Schnitt durch den Oberschenkel amputiert worden.
Mihailovic bahnte sich durch die fassungslose Menge seinen Weg zu dem Leichnam, zog seinen Parka aus und breitete ihn über Whites Gesicht und Oberkörper aus.
»Schafft die Kinder weg«, sagte Mihailovic, ohne aufzublicken. »Und jemand muss die Bahre aus der Krankenstation holen.«
»Wer ist das?«, fragte ein kleiner Junge.
Mihailovic starrte ihn an. Er gab keine Antwort. Rasch schritt er durch die Menge zum Verwaltungsgebäude zurück.
Er bekam mit, wie eine Frau den Jungen wegführte und ihm erklärte: »Das ist Jake White. Der Mann, der diesen Damm hier gebaut hat. Er ist jetzt im Himmel.«
5
CAPITANA-TERRITORIUM
Am Abend hatten sie Serine in eine Plane gehüllt und mit Gewichten beschwert. Als die Sonne unterging, wiederholte sich das Ritual am Wasser. Barbo brachte den Leichnam zur Hebebühne. Zwei von Serines Freunden wohnten der Seebestattung bei. Gerade als die Sonne am Horizont versank, kam Dewey die Treppe herunter.
»Möchte jemand noch etwas sagen?«
Hammond, ein Elektriker, trat vor. Er kniete sich neben den Toten und flüsterte etwas auf
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