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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung
Autoren: Jenny Siler
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ungewöhnlich. Erst im letzten Sommer hatte man einen Lieferwagen aus dem Fuhrpark der Botschaft gestohlen, worauf alle von einem drohenden Anschlag redeten, der nie gekommen war.
    Die Israelis hatten vor einigen Monaten den Chouf eingenommen, aber ihre Stellung war nicht gesichert. Nun mussten sie sich nicht nur mit den Syrern, sondern auch mit der Rivalität zwischen Drusen und Phalangisten herumschlagen. Hinzu kamen tausend unvorhersehbare Gefahren in den Bergen, Straßenblockaden, Kontrollpunkte und unerwartete Scharmützel. Doch Valsamis wartete nicht, bis das Schicksal eingriff. Außerhalb von Beiteddine parkte er am Straßenrand und schlitzte mit dem Taschenmesser einen Reifen auf. Dann wartete er auf einen israelischen Panzer, zeigte seinen Ausweis und erklärte, dass man ihm leider keinen Ersatzreifen mitgegeben habe.
    Die jungen Israelis aus Tel Aviv und Jerusalem, die man im Chouf eingesetzt hatte, hätten lieber zu Hause Mädchen nachjagen sollen, statt in Panzern durchs Land der Zedern zu rollen. Sie waren gern bereit, den Amerikaner mitzunehmen, Tee und Zigaretten mit ihm zu teilen und ihn von einem Fahrzeug zum nächsten weiterzureichen.
    Valsamis befand sich noch außerhalb von Damour, als er die Nachricht von dem Anschlag hörte. Erst abends kehrte er nach Beirut zurück und sah mit eigenen Augen, was geschehen war. Er erreichte die Botschaft erst im Dunkeln, doch man hatte riesige Scheinwerfer aufgestellt, die die Trümmer in ein überirdisch klares Licht tauchten. Mehrere gigantische Räumfahrzeuge wühlten in den Überresten.
    Nach so vielen Kriegen konnte ihn die Zerstörung nicht mehr überraschen; er hatte schon Schlimmeres gesehen. Er war einmal im Krankenhaus der American University gewesen, nachdem die Israelis eine Phosphorbombe auf Hamra abgeworfen hatten, und hatte dort ein Kind gesehen, ein kleines Mädchen, das derart in Phosphor getränkt war, dass es noch weiter brannte, nachdem die Krankenschwestern es in eine Wanne mit Wasser getaucht hatten.
    Dennoch traf ihn der Anblick der Botschaft wie ein Schlag. Irgendwo tief unter den Trümmern brannte ein Feuer. Die ganze Luft stank danach, aber es roch nicht nach Fleisch oder Haaren oder Knochen, nicht nach Mensch.
    Vielleicht war Sproul nicht zur Arbeit gegangen, sagte er sich, sondern bei Siobhan geblieben, ließ sich von ihr den Schwanz lutschen und pflegte seinen Kater. Vielleicht war sie so gut im Bett, dass er noch gar nichts von dem Anschlag mitbekommen hatte.
    Einer der Marine-Wachposten, ein junger Kerl mit plattem Gesicht und breitem Oklahoma-Dialekt, erkannte Valsamis in der Menge und kam zu ihm herüber. »Mein Gott, ich habe gedacht, keiner von euch hätte es geschafft.«
    Valsamis sagte nichts, schaute ihn nur verständnislos an, worauf der Junge auf die Trümmer deutete. »Das Konferenzzimmer«, sagte er und bezog sich damit auf den Raum vorn im Gebäude, in dem am Nachmittag die Sitzung stattgefunden hatte. »Komplett weg. Sauber abrasiert. Ein paar Jungs von AID hat es bis zur Corniche gefegt.«
     
    Die Kerben in den Kellerbalken zeugten von acht Kindern und einer Frau, von Jahren und Jahrzehnten, jede Kerbe ein Symbol der Sehnsucht, und doch war Valsamis’ Vater nie nach Griechenland zurückgekehrt. Bis zuletzt hatte er davon gesprochen, als würde er dorthin zurückkehren, als wäre Griechenland und nicht die winterlichen Berge, in denen er so lange gelebt hatte, sein wirkliches Zuhause. Hätte Valsamis an Gott oder ein Leben nach dem Tod geglaubt, so hätte er seinem Vater gewünscht, er möge jetzt dort sein, trüben Kaffee in einer Taverne am Wasser trinken und aufs Meer hinausschauen.
    Es schneite stark, an die fünfzehn Zentimeter waren gefallen, seit Nicole und Graça aufgebrochen waren, und noch immer war kein Ende in Sicht. Ein Schnee wie in Montana, wie in den ersten Jahren seiner Kindheit. Valsamis erinnerte sich an seinen Vater, der im Juni fluchend die Tomatenpflanzen vor einem verspäteten Blizzard schützen wollte, während seine Mutter ihn von der Tür aus anbrüllte, weil er ihre Bettlaken ruinierte.
    Er konnte nicht mehr weg, selbst wenn er gewollt hätte, mit dem Twingo würde er es nie und nimmer durch den Schnee schaffen. Morrow hingegen würde einen Weg finden.
    Valsamis wandte sich vom Fenster ab und nahm noch eine Vicodin aus der Flasche. Nur eine, sagte er sich, nur genug, um durchzuhalten, denn er wollte bei klarem Verstand sein, wenn Morrow kam.
    Die Schrotflinte lehnte noch immer, wo Nicole
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